Wolkenkuckucksheim: Das neue BGE-Konzept der BAG Grundeinkommen (Die Linke)
26. März 2020 | Kai Eicker-Wolf
In der Partei DIE LINKE wirbt die die »Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen« seit geraumer Zeit für einen Mitgliederentscheid über Ihre Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Offenbar mit Erfolg. Das dürfte die Partei vor eine Zerreißprobe stellen.
Für einen Mitgliederentscheid müssen sich fünf Prozent der Parteimitglieder aussprechen. Wird dieses Quorum erreicht, muss innerhalb eines halben Jahres ein entsprechender Mitgliederentscheid erfolgen. Auf der Homepage der BAG Grundeinkommen (www.die-linke-grundeinkommen.de) ist seit kurzem zu lesen, dass die benötigte Anzahl von Stimmen für die gewünschte Abstimmung erreicht worden sei: »Nicht nur Eingeweihte innerhalb unserer Partei wissen, dass wir einen Mitgliederentscheid zum Grundeinkommen anstreben. Schließlich sammeln wir für dieses Ziel seit einigen Monaten Unterschriften. Nominal haben wir das Ziel nun erreicht. Dennoch sammeln wir weiter, da wir davon ausgehen müssen, dass längst nicht alle Unterschriften gültig sein werden.«
Damit zeichnet sich für die LINKE eine inhaltliche Auseinandersetzung ab, die für die Partei zur Zerreißprobe werden dürfte – stehen glühenden Anhänger_innen doch strikte Gegner_innen eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) gegenüber. Letztere haben für ihre Kritik gute Gründe.
In Erwartung der innerparteilichen Auseinandersetzung arbeitet die BAG Grundeinkommen, so ist auf der BAG-Homepage zu lesen, an Werbematerial in Form einer Broschüre, eines Flyers und »einer Handreichung in leichter Sprache«. Diesen Materialien wird eine überarbeitete Version des »emanzipatorischen Grundeinkommens« zugrunde liegen, die mit Stand Februar 2020 als Download zur Verfügung steht.
Einschränkung der Wertschöpfung …
In ihrem aktualisierten Konzept schlägt die BAG Grundeinkommen ein BGE in Höhe von 1.180 Euro für Erwachsene vor. Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr sollen die Hälfte erhalten. Das Grundeinkommen soll allen Bürgerinnen und Bürgern als Sozialdividende auf ihr Konto überwiesen werden. Darüber hinaus werden zahlreiche weitere Maßnahmen gefordert, wie etwa ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 13 Euro pro Stunde, die gebührenfreie Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs und vieles andere mehr.
Ein BGE in der vorgeschlagenen Höhe fällt gemessen am durchschnittlichen Nettoverdienst hoch aus. Während für ledige Männer und Frauen – unterschieden nach West- und Ostdeutschland – das BGE zwischen 42,5 und 57 Prozent des (Netto-)Durchschnittsverdienstes erreicht, sind dies im Falle von verheirateten Paaren mit zwei Kindern in Ostdeutschland über 100 Prozent des Haushaltseinkommens. Aber auch verheiratete Doppelverdiener erhalten durch das BGE 69 (Westdeutschland) und 84 Prozent (Ostdeutschland) ihres Familieneinkommens. Liegt der Verdienst unter dem Durchschnitt, fällt das BGE gemessen am Erwerbseinkommen noch höher aus.
- Westdeutschland, ledig, Mann: 2776,66 Euro = 42,5 Prozent
- Westdeutschland, ledig, Frau: 2336,80 Euro = 50,5 Prozent
- Westdeutschland, verheiratet, 2 Kinder, Doppelverdienende: 5138,16 Euro = 68,9 Prozent
- Westdeutschland, verheiratet, 2 Kinder, Alleinverdienende: 3184,28 Euro = 111,2 Prozent
- Ostdeutschland, ledig, Mann: 2147,46 Euro = 54,9 Prozent
- Ostdeutschland, ledig, Frau: 2070,50 Euro = 57,0 Prozent
- Ostdeutschland, verheiratet, 2 Kinder, Doppelverdienende: 4239,69 Euro = 83,5 Prozent
- Ostdeutschland, verheiratet, 2 Kinder, Alleinverdienende: 2449,43 Euro = 144,5 Prozent
Der Modellrechnung liegt der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst einschließlich Sonderzahlungen von vollzeitbeschäftigten Frauen und Männern im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich zu Grunde. Westdeutschland: einschließlich Berlin, Ostdeutschland: ohne Berlin. Quelle: Statistisches Bundesamt.
Es ist davon auszugehen, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen in dieser Höhe dazu führen wird, dass viele Personen weniger Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen wollen. Wer durch das BGE über ein (Haushalts-)Einkommen in einer für sich als angemessen angesehenen Höhe verfügt, wird möglicherweise überhaupt nicht mehr arbeiten. Viele Menschen, gerade auch jene aus Berufen mit einer hohen körperlichen und psychischen Belastung, werden zumindest nicht mehr bereit sein, im bisherigen Umfang ihrem Beruf nachzugehen. Diese Einschränkung des Arbeitskraftangebots, die aus Sicht des jeweiligen Individuums durchaus rational und nachvollziehbar ist, geht gesamtwirtschaftlich mit einem Rückgang der Wertschöpfung einher: Die Produktion aller möglichen materiellen Güter und Dienstleistungen wird sinken. Dieser geringeren Menge an Waren steht dann eine gleich große oder sogar gestiegene Nachfrage gegenüber. Die Preise würden in der Folge steigen, was gleichbedeutend mit einem Kaufkraftverlust wäre, denn für das gleiche Geld kann nun weniger gekauft werden. Letztlich wird sich die Versorgungssituation bzw. der durchschnittliche Lebensstandard der Bevölkerung verschlechtern, da die Produktion schrumpft.
… und mangelnde finanzielle Tragfähigkeit
Nicht tragfähig sind auch die Finanzierungsvorschläge für das vorgeschlagene Bedingungslose Grundeinkommen. Letzteres würde in der Summe fast 1,1 Billionen Euro kosten. Durch entfallende steuerfinanzierte Sozialleistungen und Steuererleichterungen würden 100 Milliarden Euro erwirtschaftet, so dass sich das erforderliche Finanzierungsvolumen auf ziemlich genau 1 Billion Euro und damit rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung belaufen würde. Dieser Betrag soll wie folgt aufgebracht werden:
- - Eine BGE-Abgabe auf alle steuerpflichtigen Primäreinkommen der privaten Haushalte in Höhe von 35 Prozent, dies soll ca. 680 Milliarden Euro erbringen.
- - Eine Sachkapitalabgabe auf Anlagevermögen und Immobilien in Höhe von 2,5 Prozent des Nettovermögens bei einem Pro-Kopf-Freibetrag von 500.000 Euro. So sollen 147 Milliarden Euro zusammenkommen.
- - Eine Primärenergieabgabe von 2,9 Cent pro Kilowattstunde, diese soll 95 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen spülen.
- - Eine Abgabe auf Finanztransaktionen, hierdurch sollen 85 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen erzielt werden.
Darüber hinaus soll die bestehende Einkommensteuer radikal umgebaut werden. Alle steuerlichen Freibeträge und Absetzungsmöglichkeiten werden gestrichen, und es gibt nur noch drei Steuersätze, die das Monatseinkommen belasten: die ersten 2.360 Euro werden mit fünf Prozent besteuert, zwischen 2.361 und 4.720 Euro wird ein Steuersatz von 15 Prozent erhoben, und ab monatlich 4.721 Euro beläuft sich die Belastung auf 24 Prozent. Daneben sind auch noch jeweils paritätisch zu finanzierende Sozialbeiträge zu leisten: eine gesetzliche Altersversicherung (insgesamt 8 Prozent Beitragssatz), eine gesetzliche Gesundheits- und Pflegeversicherung (insgesamt 16 Prozent Beitragssatz), und eine Erwerbslosenversicherung (1 Prozent Beitragssatz). Auf dieser Basis beginnen die Belastungen (Steuern und Sozialbeiträge) bei 52,5 Prozent und steigern sich schnell auf bis zu 71,5 Prozent ab 4.721 Euro.
Die Schätzungen der Einnahmen, die der Staat durch die genannten Maßnahmen erzielen soll, sind mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Dies gilt etwa für die Abgabe auf Finanztransaktionen. Trotz diesbezüglicher Zweifel wird nachfolgend von den Zahlen des linken BGE-Konzeptes ausgegangen – um zu zeigen, dass es selbst unter diesen Annahmen nicht funktionieren kann.
Ein Grund dafür: Durch die hohen Steuer- und Abgabensätze, die das Konzept schon im unteren Bereich der Einkommen vorsieht, würde der Anreiz zu Schwarzarbeit stark erhöht. Dies könnte – wenn überhaupt – nur durch massive Kontrollen, die ebenfalls Kosten verursachen, unterbunden werden. Zudem bestände durch die hohen Abgabensätze schon im unteren und im mittleren Einkommensbereich in Verbindung mit dem vergleichsweise hohen BGE ein noch stärkerer Anreiz, weniger zu arbeiten. Zu bedenken ist überdies, dass das Finanzierungskonzept der BAG auf Basis der aktuellen Höhe der Wertschöpfung basiert. Würde die Wertschöpfung aufgrund einer Verringerung der Arbeitsbereitschaft schrumpfen, ginge dies auch mit weniger Erwerbseinkommen und verminderten Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen einher. Das Finanzierungskonzept wäre damit nicht mehr haltbar. Das gleiche gilt, wenn Schwarzarbeit zunimmt, wovon auszugehen ist.
Zudem dürften zumindest Teile der Gewinneinkommen so hoch belastet werden, dass Investitionen vollkommen unrentabel werden. Zunächst einmal wären auf Gewinneinkommen in der Spitze durch die Einkommensteuer und die hälftigen Sozialabgaben ebenfalls 71,5 Prozent abzuführen. Hinzu kommt die Sachkapitalabgabe: Diese dürfte bei der aktuellen Höhe des Nettoanlagevermögens (4,2 Billionen Euro) zu einer Belastung in Höhe von rund 100 Milliarden Euro führen. Dieses Geld werden Unternehmen ebenfalls aus dem laufenden Einkommen zahlen – dadurch wird die Gesamtbelastung des Gewinneinkommens im Durchschnitt auf gut 87 Prozent steigen. Wird mit viel Anlagevermögen gewirtschaftet, liegt die Belastung sogar über 87 Prozent – wird mit wenig Anlagevermögen in dem entsprechenden Betrieb gearbeitet, liegt sie darunter. Hinzu kommt für Unternehmen in der Gesellschaftsform einer Kapitalgesellschaft (GmbHs und Aktiengesellschaften) eine Körperschaftssteuer in Höhe von 25 Prozent, die weitere rund 45 Milliarden Euro erbringen soll. Damit aber dürfte die Belastung mit staatlichen Abgaben für Gewinne von Kapitalgesellschaften auf 100 Prozent und mehr steigen. In solch einem Fall macht eine unternehmerische Tätigkeit keinen Sinn mehr – denn für jeden eingesetzten Euro erhält der/die Kapitalbesitzer_in weniger Geld.
Abschließende Bewertung
In der jüngeren Vergangenheit ist die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Deutschland drastisch gestiegen. In diesem Kontext machen radikale Umverteilungskonzepte durchaus Sinn – etwa wenn sie auf einen deutlich höhere Einkommensteuerspitzensatz, eine angemessen hohe Vermögensteuer, einen gut ausgebauten Sozialstaat und gemeinwirtschaftliche Eigentumsformen setzen. Auch eine Umverteilung des sehr ungleich verteilten Vermögens in Deutschland wäre – etwa in Form einer hohen Erbschaftsteuer – aus ökonomischen und politischen Gründen sinnvoll.
Die angesprochenen Ziele sind allerdings nicht durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu erreichen: Durch die Entkopplung von Arbeit und Einkommen würde die gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung sinken und sich der Lebensstandard massiv verschlechtern. Die Idee vom Bedingungslosen Grundeinkommen erweist sich als ein triviales Heilsversprechen, das der Partei DIE LINKE als zentraler Punkt im Parteiprogramm hoffentlich erspart bleibt.
Zum Weiterlesen:
Der Autor hat jüngst ein Buch zum Bedingungslosen Grundeinkommen veröffentlicht: Kai Eicker-Wolf, ▸Money for Nothing? Das Bedingungslose Grundeinkommen in der Kontroverse.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.