Rezension

Solidarische Care-Ökonomie

15. Juli 2021 | Bernd Hüttner

Die ökologische Krise, Stichwort: Klima, ist schon länger ein politisches und mediales Thema, die kommerzielle und private Sorgearbeit ist durch »Corona« stärker in den Fokus geraten. In den Monaten der Pandemie war dort das Phänomen der Erschöpfung vorherrschend. Während Auto- und Flugzeugkonzerne selbstredend großzügig unterstützt wurden, gab es für Menschen mit Kindern und Familien wenig und für in der Pflege oder im Krankenhaus lohnarbeitende Menschen noch weniger. Care wird - ebenso wie die Klimakrise - in ihrer Bedeutung unterschätzt, und als Tätigkeit auch abgewertet. Die Überlastung im privaten und beruflichen Bereich ist enorm und wird Folgen weit über das »Ende der Pandemie« hinaus haben. Es ist kein Zufall, dass der Großteil der beruflichen und der privaten Erziehungs- und Pflegearbeit von Frauen geleistet wird, gleichzeitig steigen seit Jahren die Kapitaleinkommen weit stärker als die Stundenlöhne.

Die Menschen, so eine von Winkers zentralen Forderungen, die sie auch immer wieder auch mit Zahlen untermauert, brauchen mehr (freie) Zeit. Mehr Zeit für sich, für Entspannung, Familie - und auch für Politik. Dazu muss es zuallererst eine Arbeitszeitverkürzung geben. Zweitens muss endlich der Wohlstandsbegriff und die Lebensqualität vom immerwährenden Wachstum der materiellen Produktion entkoppelt werden, da nicht zuletzt die berühmten Rebound-Efekte alle ökologischen Innovationen auffressen würden. Ein System Change hin zu einer solidarischen Gesellschaft, und eine, in Anlehnung an Rosa Luxemburg formulierte »revolutionäre Realpolitik« sei dringendst nötig.

Winkers Schlussfolgerung ist eindeutig. Für eine Lösung der von ihr diskutierten Probleme in Richtung einer Care Revolution muss der Kapitalismus überwunden werden. 2014 bereits gründete Winker nicht nur deswegen zusammen mit vielen anderen das Netzwerk »Care Revolution« ( http://care-revolution.org/ ). Von 2003 bis vor kurzem arbeitete die 1956 geborene als Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg.

Insgesamt ein kluges, aber letztendlich auch ernüchterndes Buch, da es gut beschreibt, was viele tagtäglich erleben, und was auch in vielen emanzipatorischen Kreisen längst bekannt ist. Bei der Frage der Aktion und der nach den AkteurInnen bleibt es aber unterkomplex. Wer soll die Änderungen mit welcher Motivation erkämpfen? Denn die von ihr vorgebrachten Losungen wie »politischer Streik« oder auch »konkrete solidarökonomische Projekte als Modelle aufbauen« wirken doch angesichts des Zeitdruckes eher hilflos. Trotz einiger Kritik aber ein in seiner Analyse sehr lesenswertes und trotz seiner sozialwissenschaftlchen Sprache noch verständliches Buch.

Bibliografische Angaben

Gabriele Winker: Solidarische Care-Ökononmie. Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima. transcript Verlag, Bielefeld 2021, 212 Seiten, 15,00 EUR.

Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Bremen und ist Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Webseite: www.bernd-huettner.de.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/solidarische-care-oekonomie--2392.html   |   Gedruckt am: 19.04.2024