10. Juni 2012 | Patrick Schreiner
en Fiskalpakt und Eurokrise hat sich in der vergangenen Woche jede Menge getan. Zunächst hatten SPD, Grüne und das Gros der Medien berichtet, Kanzlerin Merkel (CDU) habe sich auf die Opposition zubewegt: Erstens habe sie das von dieser gewünschte "Wachstumspaket" geschnürt, zweitens habe sie der Einführung einer Finanztransaktionssteuer zugestimmt. Merkel sei "umgefallen", SPD und Grüne hätten sich durchgesetzt. Betrachtet man allerdings die finanziellen Auswirkungen des Merkelschen "Wachstumspakets", der Finanztransaktionssteuer sowie des Fiskalpakts, so zeigt sich: Die wachstumsfeindlichen Kürzungen, die mit dem Fiskalpakt einhergehen werden, werden durch die von der Opposition angeblich durchgesetzten Maßnahmen nicht einmal annähernd ausgeglichen. Weder "Wachstumspaket" noch Finanztransaktionssteuer können ein nennenswerter Grund sein, dem Fiskalpakt zuzustimmen. - Ein Beitrag über Zahlentricks und Manipulationen.
Bevor ich dies näher begründe, sei einleitend noch auf Folgendes hingewiesen: An der Annahme, dass SPD und Grüne Merkel zu einem "Wachstumspaket" und zur Finanztransaktionssteuer gezwungen haben, ist in zweierlei Hinsicht Zweifel angebracht.
Ich will im Folgenden die finanziellen Auswirkungen des Merkelschen "Wachstumspakets", der Finanztransaktionssteuer sowie des Fiskalpakts einander gegenüberstellen. Dabei zeigt sich: Auf Basis der Zahlen des Jahres 2011 würde er in den 25 Fiskalpakt-Staaten Kürzungszwänge von 480 Milliarden Euro provozieren (bei einer späteren Einführung durch die zwischenzeitlich gestiegenen Schulden sogar noch höhere). Dem stehen durch "Wachstumspaket" und Finanztransaktionssteuer im absolut unwahrscheinlichen Idealfall Kompensationen durch Mehreinnahmen bzw. höhere Ausgaben der 25 europäischen Fiskalpakt-Staaten von höchstens 148,9 Milliarden Euro gegenüber.
Abbildung 1: Auswirkungen von Fiskalpakt, „Wachstumspaket“ und Finanztransaktionssteuer in Mrd. Euro
Dies zeigt: Die Maßnahmen, die SPD und Grüne Merkel für die Zustimmung zum Fiskalpakt abgetrotzt haben wollen, sind nicht einmal annähernd geeignet, die negativen Auswirkungen des Fiskalpakts wettzumachen. Obenstehende Abbildung 1 macht dies auch visuell deutlich. Im Folgenden zeige ich auf, wie die in der Grafik aufgeführten Zahlen zustande kommen. (Meine Berechnungen sollten dabei als grobe Näherungsrechnungen verstanden werden, basierend weitgehend auf dem Jahr 2011.)
Fiskalpakt
Auf diese Weise leiten sich die oben genannten 480 Milliarden Euro Kürzungszwänge ab. Würde der Fiskalpakt schon 2012 gelten, so müssten die 25 Unterzeichnerstaaten ihre Ausgaben um 480 Milliarden Euro kürzen. Dies entspricht in etwa dem 1,6-fachen des Bundeshaushalts.
"Wachstumspaket"
Was aber bieten Merkel, SPD und Grüne als konjunkturellen Ausgleich durch wachstumsfördernde Maßnahmen sowie als kompensierende Mehreinnahmen durch die Finanztransaktionssteuer an? Details der Vereinbarungen sind leider öffentlich nicht bekannt, ich beziehe mich im Folgenden auf den oben verlinkten Beitrag von Jörg Berger sowie auf die Berichterstattung auf Spiegel Online (Artikel 1, Artikel 2).
Soweit zu Merkels "Wachstumspaket", dessen Maßnahmen eine expansive Wirkung von höchstens 24,6 Milliarden Euro generieren.
Finanztransaktionssteuer
Hinzu kommt nun die Finanztransaktionssteuer. Unterstellt man, dass die durch sie erzielten Einnahmen Kürzungszwänge auf der Ausgabenseite mindern, dürfte auch sie durchaus eine den Fiskalpakt "lindernde" Wirkung haben. Sie ist insofern vergleichbar mit dem "Wachstumspaket".
Bei der folgenden Berechnung möglicher Einnahmen durch die Finanztransaktionssteuer habe ich mich auf die Ergebnisse der Untersuchung "A General Financial Transaction Tax: A Short Cut of the Pros, the Cons and a Proposal" von Stephan Schulmeister bezogen. Er hat berechnet, wie hoch (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts gemessen) mögliche Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer ausfallen könnten. Von den drei Szenarien, die er dabei zeichnet, habe ich einmal mehr das für Merkel/SPD/Grüne günstigste gewählt – jenes mit den höchsten Einnahmen. Es ist insofern unrealistisch, als es unterstellt, dass es kaum zu Maßnahmen der Finanzmarktakteure kommt, um die Steuerpflicht zu umgehen. Ich unterstelle zudem bei meinen Zahlen, dass alle 25 Fiskalpakt-Staaten eine Finanztransaktionssteuer einführen; dem wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber nicht so sein. Aus den genannten Gründen werden die tatsächlichen Einnahmen durch diese Steuer daher deutlich geringer sein, als ich unterstelle.
Addiert man diese Werte, so kommt man auf Gesamteinnahmen durch eine Finanztransaktionssteuer von 124,3 Milliarden Euro. Wohlgemerkt – dies ist der extrem unwahrscheinliche Idealfall.
Fazit
Den Kürzungszwängen durch den Fiskalpakt von mindestens 480 Milliarden Euro stehen damit expansive Maßnahmen im Rahmen des "Wachstumspakets" von allerhöchstens 24,6 Milliarden Euro sowie Einnahmen durch die Finanztransaktionssteuer von allerhöchstens 124,3 Milliarden Euro gegenüber. In der Summe macht dies 148,9 Milliarden Euro. Es ist völlig unverständlich, weshalb SPD und Gründe dies als Erfolg ihrer Verhandlungen verkaufen wollen. Weite Teile der beiden Parteien sind dabei, gemeinsam mit Merkel Europa noch tiefer in die Rezession zu stürzen - wenn sie sich nicht endlich entschließen, den Fiskalpakt ohne Wenn und Aber abzulehnen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/finanzielle-auswirkungen-im-vergleich-merkels-wachstumspaket-finanztransaktionssteuer-fiskalpakt--758.html | Gedruckt am: 24.04.2024