4. Mai 2012 | Patrick Schreiner
itiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) ist weniger eine Initiative als vielmehr eine neoliberale Lobbyorganisation der Arbeitgeber. Dennoch tritt sie immer wieder mit vermeintlich objektiven und neutralen "Expertisen" und "Stellungnahmen" an die Öffentlichkeit. Aktuell berichten verschiedene Medien über eine "repräsentative" Umfrage, die TNS Emnid im Auftrag der "INSM" durchgeführt habe. Ergebnis: Bundesbürger seien zu eigenen Einschnitten bereit, wenn dies dem Abbau der Staatsverschuldung diene. Die "INSM" jubelt: "Das Thema Schuldenstopp ist populärer als gedacht." Die Umfrage ist allerdings derart manipulativ, dass man sich fragen muss, weshalb ein vermeintlich seriöses Institut wie TNS Emnid sie überhaupt durchgeführt hat. - Ein Beitrag über Zahlentricks und Manipulationen.
Die "INSM" schreibt in ihrer Pressemeldung:
Das Thema Schuldenstopp ist populärer als gedacht. [...] Auf die Frage, wie wichtig es sei, dass die weitere Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen gestoppt wird, antworten 90 Prozent mit "eher wichtig" (35 Prozent) bzw. "sehr wichtig" (55 Prozent). Eine deutliche Mehrheit ist zudem bereit, persönlich bei staatlichen Leistungen Einschnitte hinzunehmen, damit Bund, Länder und Kommunen keine neuen Schulden aufnehmen müssen.
Wie kommt man zu solchen vermeintlich eindeutigen Ergebnissen? Indem man manipulative Fragen stellt und wirtschaftliche Komplexität ideologisch vereinfacht. Zu beachten ist zudem, dass solche Interviews / Umfragen telefonisch durchgeführt werden. Die Befragten haben also nicht die Möglichkeit, sich die Fragen mehrfach durchzulesen oder in Ruhe zu überdenken. Dies befördert rasche, unüberlegte und intuitive Antworten – und gibt der INSM zusätzliche Möglichkeiten, durch entsprechende Formulierungen manipulativ auf die Befragten einzuwirken.
1. "Wichtigkeit des Neuverschuldungsstopps"
Ergebnis der Umfrage laut "INSM":
90% halten ein Ende der Neuverschuldungspolitik in Bund, Ländern und Kommunen für wichtig.
Die Frage, die TNS Emnid im Auftrag der "INSM" gestellt hat, lautete:
Wachsende Schulden sind eine potentielle Gefahr für unseren Wohlstand und die Stabilität des Landes. Wie wichtig ist es ihnen, dass die weitere Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen gestoppt wird, auch wenn dies mit Einschnitten verbunden ist?
Dies ist eine klassische Suggestivfrage.
2. "Akzeptanz von Steuererhöhungen"
Ergebnis der Umfrage laut "INSM":
Die meisten Deutschen wollen keine höheren Steuern in Kauf nehmen.
Die Frage, die TNS Emnid im Auftrag der "INSM" gestellt hat, lautete:
Damit die Neuverschuldung gestoppt werden kann, muss der Staat entweder weniger ausgeben oder mehr einnehmen. Um die Einnahmen des Staates zu erhöhen, wären Sie persönlich bereit, Steuererhöhungen zu akzeptieren?
Auch hier wird mächtig suggeriert.
3. "Wahl einer 'Spar'-Partei"
Ergebnis der Umfrage laut "INSM":
Das Wählerpotenzial einer Partei mit striktem Sparprogramm beträgt bis zu 54%.
Hier möchte die "INSM" das Wählerpotenzial einer Partei mit striktem Sparkurs erheben. Die Frage, die TNS Emnid im Auftrag der "INSM" gestellt hat, lautete:
Angenommen eine Partei würde ganz konkret ankündigen, ein Sparprogramm aufzulegen, damit keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden müssten. Dies würde für sie persönlich Einschnitte bedeuten. Würden Sie ...?
Erneut wird hier mächtig suggeriert.
Erwähnenswert ist ferner auch, dass es höchst fragwürdig ist, aus einer Umfrage zu einem einzigen Thema auf ein "Wählerpotenzial" für eine Partei zu schließen, die dieses Thema aufgreift. Ein "Wählerpotenzial" ergibt sich immer aus einer Vielzahl verschiedener Themen.
4. "Wichtigkeit politischer Aufgaben"
Ergebnis der Umfrage laut "INSM":
Mehr als jeder Zweite hält die Lösung des Verschuldungsproblems für die wichtigste politische Aufgabe.
Die Frage, die TNS Emnid im Auftrag der "INSM" gestellt hat, lautete:
Welcher der beiden folgenden Aussagen würden Sie eher zustimmen?
- "Der Stopp der Neuverschuldung sollte die wichtigste Aufgabe für eine neue Bundes- oder Landesregierung sein."
- "Andere Aufgaben sind wichtiger."
- "Weiß nicht, keine Angabe."
Kein Wunder, dass 54 Prozent der ersten Antwort zustimmen. Denn:
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/initiative-neue-soziale-marktwirtschaft-mit-manipulativer-umfrage-zum-schuldenabbau--523.html | Gedruckt am: 28.03.2025