Eine Frage des politischen Willens: Die Besteuerung von Übergewinnen

30. August 2022 | Kai Eicker-Wolf

Auch wenn ein Bremer Initiativantrag zur Übergewinnsteuer Anfang Juli im Bundesrat die erforderliche Mehrheit nicht erhalten hat, ist die Debatte nicht verstummt. So sprach sich zuletzt SPD-Chef Klingbeil dafür aus. Als Lobby-Partei des deutschen Kapitals firmiert in der Bundesregierung einmal mehr die FDP, die sich selbst in der derzeitigen Situation einer zumindest temporären Stärkung der Staatsfinanzen durch eine höhere Besteuerung von Profiteinkommen verweigert. Dabei könnten die so erhobenen Mittel genutzt werden, um weitere Entlastungsmaßnahmen für kleine und mittlere Einkommen auf den Weg zu bringen.

Die gegenwärtige konjunkturelle Lage ist durch den Ukraine-Krieg und nach wie vor auch durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen belastet. Die steigenden Energiepreise und Lieferkettenprobleme haben negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Geschehen. Insgesamt ist die ökonomische Situation und vor allem die weitere konjunkturelle Entwicklung von einer hohen Unsicherheit geprägt, da der Verlauf des Ukraine-Kriegs und seine weiteren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind.

Die privaten Haushalte stehen vor dem Problem, mit der aktuell relativ hohen Inflationsrate zurechtkommen zu müssen, die neben Lieferkettenproblemen und steigenden Energiepreisen auch auf der Entwicklung der Lebensmittelpreise beruht. Alle Haushalte haben erhebliche reale Einkommensverluste zu verzeichnen, wobei Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen hierunter besonders leiden (vgl. Dullien/Tober 2022a und 2022b).

Um insbesondere der Energiepreisentwicklung entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung zwei Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Diese enthalten verschiedene entlastend wirkende Maßnahmen, wie die Erhöhung des Grundfreibetrags und der Pendlerpauschale, eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro, einen Familienzuschuss von 100 Euro pro Kind, eine Einmalzahlung für Hartz IV-Bezieher*innen in Höhe von insgesamt 200 Euro, die Absenkung der Energiesteuer für Kraftstoff, ein Neun-Euro-Ticket im ÖPNV und Weiteres mehr. In diesem Zusammenhang ist auch die Mindestlohnerhöhung ab dem 1. Oktober auf zwölf Euro positiv zu erwähnen, die durch die gegenwärtigen Preissteigerungen für das untere Lohnsegment eine zusätzliche Dringlichkeit erfährt.

Die beiden Entlastungspakete sind sozial relativ ausgewogen – das heißt, dass Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich in höherem Umfang entlastet werden als einkommensstarke Haushalte. Allerdings sind auch beträchtliche Mängel auszumachen, denn bei Nichterwerbstätigen, Studierenden sowie Rentner*innen fällt die Entlastung ziemlich gering aus (Dullien/Rietzler/Tober 2022). Hinzu kommt, dass sich im Laufe dieses und des kommenden Jahres aufgrund der aller Wahrscheinlichkeit weiter hoch ausfallenden Inflationsrate weitere soziale Härten vor allem im unteren Einkommenssegment ergeben werden. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang der im langfristigen Trend sowieso auszumachende Anstieg der Armutsquote, der im Jahr 2021 besonders hoch ausfiel (Der Paritätische Gesamtverband 2022). Neben erhöhten Transferleistungen für niedrige Einkommen erscheint das Instrument des Gaspreisdeckels als eine besonders geeignete, entlastend wirkende Maßnahme, die bisher noch nicht ergriffen wurde (Dullien/Weber 2022). Dabei würde der Bund den Grundgasverbrauch übergangsweise subventionieren: Private Haushalte müssten so für ihre Wohnung den Gaspreis aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg bezahlen, allerdings würde dies nur für einen begrenzten Grundbedarf gelten. Die darüber hinausgehende Nachfrage nach Gas wäre teurer, hier würden mindestens Marktpreise bezahlt werden müssen. So könnten Realeinkommensverluste begrenzt und die Inflationsentwicklung gedämpft werden.

Steigende Profite in der Energiewirtschaft

Von den stark gestiegenen Energiepreisen profitiert vor allem die Energiebranche. Denn den Öl- und Gaskonzernen sowie den Stromproduzenten bescheren die erhöhten Energiepreise beträchtliche Steigerungen ihrer Profite. Vor diesem Hintergrund wird auch in Deutschland die Forderung nach einer Übergewinnsteuer etwa von den Gewerkschaften, der LINKEN, aber auch den Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen erhoben.

Abgelehnt wird eine Übergewinnsteuer von der FDP und ihrem Bundesfinanzminister Lindner. Nach dessen Aussagen würde eine solche Steuer das Steuersystem der Willkür ausliefern, zudem würden Unternehmensgewinne in Deutschland sowieso schon sehr hoch besteuert.

Historisch sind Übergewinnsteuern im vergangenen Jahrhundert insbesondere in Kriegs- und Nachkriegszeiten eingeführt worden, zum Beispiel von den USA, Großbritannien und Frankreich (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2021: 4ff.). Damit wurden zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollte ein außergewöhnlich hoher Finanzbedarf gedeckt werden, und zum anderen sollten besonders hohe und als ungerecht empfundene Gewinne zumindest in Teilen abgeschöpft werden. Eine Übergewinnsteuer soll, so auch eine Idee in der aktuellen Debatte, zusätzliche Einnahmen generieren, um diejenigen zu unterstützen, die besonders unter den Folgen aufgrund von Krieg und Zerstörung leiden.

Selbst die EU-Kommission hat angesichts des Ukraine-Krieges im März eine »Leitlinie für die Anwendung steuerlicher Maßnahmen auf übermäßige Gewinne« verfasst, die auf Steuereinnahmen aus übermäßigen Erlösen von Stromerzeugern abzielt. Die so eingenommenen Mittel sollen an die Endverbraucher*innen von Strom fließen. In Europa gibt es mit Italien, Griechenland, Spanien, Rumänien, Ungarn und Großbritannien mehrere Länder, die Übergewinne schon vor dem Ukraine-Krieg mit einer Sondersteuer belegt, diese nun verlängern oder entsprechende Regelungen auf den Weg gebracht haben (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2022b).

Zur Ermittlung eines Übergewinns stehen grundsätzlich zwei verschiedene Methoden zur Verfügung (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2021: 12ff.). Die invested capital method leitet aus einer fiktiv vorgegebenen Rendite (Gewinn auf eingesetztes Kapital) einen Nettogewinn ab, der als Maßstab für einen Übergewinn verwendet wird. Die average earnings method hingegen vergleicht den jährlichen durchschnittlichen Nettogewinn eines Vorkriegszeitraums mit dem Gewinn in Kriegs- und Krisenzeiten. Eine besondere Variante der average earnings method wendet Italien an (dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2022a und 2022c): Hier wird die Differenz aus Ausgangs- und Eingangsumsätzen als Bezugsgröße für die Ermittlung der Übergewinnsteuer gewählt. Unter den Eingangsumsätze sind materielle Güter oder Leistungen zu verstehen, die ein Unternehmen von anderen Unternehmen bezieht, während die Ausgangsumsätze den Verkauf der eigenen Erzeugnisse umfassen. Ein Übergewinn wird auch hier durch einen Periodenvergleich ermittelt. Die von Italien gewählte Variante hat den Vorteil, dass sie an die zeitnah erfolgende Umsatzsteuerzahlung der Unternehmen anknüpft.

Neoliberale Argumente gegen eine Übergewinnsteuer nicht haltbar

In seiner Haltung bestätigt dürfte sich Finanzminister Lindner durch ein jüngst veröffentlichtes Gutachten fühlen, das der wissenschaftlichen Beirat seines Hauses erarbeitet hat (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 2022) – tatsächlich ist der marktgläubige Tenor dieses Textes angesichts der extrem neoliberalen Schlagseite des Beirats wenig überraschend.

So wird Unternehmensprofiten und Preisveränderungen eine grundsätzlich positive Eigenschaft zugesprochen: »Volkswirtschaftlich ist es wünschenswert, dass im Falle eines hohen erwarteten Gewinns das Unternehmen seine Aktivitäten ausweitet oder weitere Unternehmen in den Markt eintreten, während im Falle einer unbefriedigenden Gewinnerwartung Unternehmen ihre Aktivitäten verlagern oder aus dem betreffenden Markt aussteigen.« (ebd.: 11) Die aufgrund des Ukraine-Krieges »rapide gestiegenen Preise, wie sie derzeit zu beobachten sind, signalisieren veränderte Knappheitsverhältnisse – etwa weil das Angebot z.B. infolge militärischer Konflikte oder Zerstörungen durch Naturkatastrophen eingebrochen ist oder die Nachfrage sprunghaft angestiegen ist. Die gestiegenen Preise und die daraus erwachsenen Gewinnerwartungen bieten Anreize, die Produktionskapazitäten gerade dort auszubauen, wo die Knappheiten besonders groß sind. Solche Anpassungen sind aus volkswirtschaftlicher Sicht in hohem Maße wünschenswert, weil sie die knappen Ressourcen der Ökonomie in die Verwendungen lenken, in denen sie den höchsten Mehrwert erbringen.« (ebd.: 12)

Diese als zentral anzusehenden Begründungen des Beirats gegen eine Übergewinnbesteuerung sind angesichts der aktuellen Entwicklung abwegig. Denn der Logik des Beirats zur segensreichen Lenkungsfunktion von Preis- und Profitsteigerungen im Bereich Gas und Öl folgend müsste in diese Felder kräftig investiert werden – oder entsprechende Investitionen müssten den Preissignalen folgen. Angesichts des Klimawandels und der dringend erforderlichen Abkehr von fossilen Energieträgern eine mehr als abwegige Vorstellung. Nicht zuletzt dürfte auch den Energiekonzernen klar sein, dass Investitionen in fossile Energien wenig zukunftsträchtig (und mittel- sowie langfristig wenig rentabel) sein würden.

Aufschlussreich ist auch, dass der Beirat weder auf erforderliche und zu finanzierende Ausgabenbedarfe (z.B. Gaspreisdeckel) eingeht und keinerlei verteilungspolitische Überlegungen anstellt. Zwar sei bei Personenunternehmen der Zusammenhang zwischen Unternehmensgewinn und persönlichem Einkommen noch erschließbar. »Wo hingegen Kapitalgesellschaften betroffen sind, bleibt meist im Dunkeln, ob eine Sondersteuer auf deren Gewinne Kleinsparer und Rieser-Rentner mit ihren Lebensversicherungen und Altersfonds trifft, oder aber Personen im In- oder Ausland mit einem milliardenschweren Nettovermögen.« (ebd.: 7)

Tatsächlich kann ein Blick in die Steuerstatistik einen erhellenden Hinweis auf die Verteilungswirkung von steigenden Gewinnen auf Kapitalvermögen geben. Zum Einkommen aus Kapitalvermögen zählen auch Dividenden aus Aktienbesitz, auf die lediglich der Abgeltungssteuersatz in Höhe von 25 Prozent zu zahlen ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf alle Personen, die überhaupt positive Kapitaleinkommen zu verzeichnen haben. Wer Gesamteinkünfte in Höhe von rund 50.000 Euro und ein gewinnbringendes Kapitalvermögen besitzt, wird im Durchschnitt über Einkünfte aus diesem Vermögen in Höhe von 6.000 bis 7.000 Euro verfügen. Liegen die Gesamteinkünfte hingegen zwischen 500.000 und einer Million Euro, belaufen sich die Kapitaleinkünfte auf gut 46.500 Euro. Und bei Einkünften über eine Million Euro liegt der Wert für Einkünfte auf vorhandenes Kapitalvermögen bei durchschnittlich fast 180.000 Euro. Von den gesamten positiven Einkünften auf Kapitalvermögen entfallen elf Prozent auf diese Klasse der Einkommensmillionäre – deren Anteil an allen Steuerpflichtigen, die Einkommen aus Kapitalvermögen beziehen, liegt lediglich bei 0,4 Prozent.

Übergewinnsteuer verteilungspolitisch gerecht und fiskalisch sinnvoll

Anders als vom Wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums suggeriert, gibt es gute Argumente für eine Übergewinnsteuer, die nach den zitierten Publikationen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages auch verfassungsrechtlich zulässig wäre.

So drohen aufgrund der hohen Inflationsrate in der nächsten Zeit erhebliche verteilungspolitische Verwerfungen und insbesondere eine Zunahme der Armut. Zur Finanzierung dringend erforderlicher Gegenmaßnahmen könnte eine Übergewinnsteuer einen wichtigen Beitrag leisten. So würden je nach Steuersatz gemäß einer groben Schätzung zwischen 12,5 (Steuersatz 25 Prozent) und 45 Milliarden Euro (Steuersatz 90 Prozent) anfallen, wenn nur die Stromproduzenten zur Besteuerung herangezogen würden. Würden auch die in Deutschland verdienten Übergewinne der Mineralölkonzerne erfasst, dann würden die Werte auf 28 bis gut 100 Milliarden Euro steigen (Trautvetter/Kern-Fehrenbach 2022).

Zu beachten ist allerdings, dass eine Übergewinnsteuer lediglich eine temporäre Maßnahme ist. Zur Korrektur der hohen gestiegenen und insbesondere im Bereich der Vermögen sehr hohen Ungleichverteilung in Deutschland und zur Finanzierung wichtiger Zukunftsaufgaben wäre vor allem eine dauerhaft höhere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen erforderlich.

Literatur

Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/eine-frage-des-politischen-willens-die-besteuerung-von-uebergewinnen--2414.html   |   Gedruckt am: 19.04.2024