21. März 2022 | Thomas Zimmer
Die US-amerikanische Rechte lässt keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass sie in der Demokratischen Partei einen »unamerikanischen«, illegitimen Feind sieht, den es mit allen Mittel zu bekämpfen gelte. Warum tun sich die Demokraten so schwer, darauf angemessen zu reagieren?
Die amerikanische Demokratie ist akut bedroht. Wie schon während der Obama-Ära hält der führende republikanische Senator Mitch McConnell die republikanischen Reihen fest geschlossen, um eine geregelte Regierungstätigkeit auf Bundesebene weitgehend zu verhindern. Vor allem aber auf der einzelstaatlichen Ebene finden unzählige Versuche statt, die Demokratie zu unterwandern. Überall da, wo die Republikaner an der Macht sind, zeigen sie sich entschlossen, diese notfalls auch gegen demokratische Mehrheiten zu verteidigen:
Restriktive Wahlgesetze, die gezielt einzelne Wählergruppen benachteiligen; verschärfte Manipulation von Wahlkreisgrenzen (gerrymandering); der systematische Versuch, Wahlkommissionen zu säubern und den Einfluss von republikanisch geführten state legislatures auf den Wahlprozess zu stärken. Es ist der immer selbe Werkzeugkasten, mit dem sich die GOP – die »Grand Old Party« – daran macht, eine stabile Einparteienherrschaft in möglichst vielen Staaten zu errichten, und im Kongress blockieren die Republikaner unter McConnells Führung alle Versuche, diesem autoritären Anschlag auf die Demokratie mit neuen Gesetzen auf Bundesebene zu begegnen.
Die Demokraten haben darauf bislang nicht mit einer vergleichbaren Entschlossenheit reagiert. Im Kampf um die politische, gesellschaftliche und kulturelle Ordnung besteht eine auffällige Asymmetrie. Auf die Ankündigung des Präsidenten, erstmals in der Geschichte eine schwarze Frau für den Supreme Court nominieren zu wollen, reagierten Konservative mit einer aggressiven Mischung aus misogynoir und weißen patriarchalen Bedrohungsängsten. Republikanische Politiker kündigten sofort unbedingten Widerstand an – während führende Demokraten scheinbar unverdrossen beteuerten, es werde ganz bestimmt parteiübergreifende Unterstützung für Bidens Kandidatin geben. Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, betont gerne, das Land brauche eine starke GOP, während extremistische republikanische Abgeordnete wie Marjorie Taylor Greene und Paul Gosar in Gewaltfantasien gegen den politischen Gegner schwelgen und dafür nicht etwa isoliert werden, sondern in der Parteihierarchie weiter aufsteigen. Als der texanische Senator Ted Cruz im Januar erklärte, die Republikaner würden so bald wie möglich ein Amtsenthebungsverfahren gegen Joe Biden anstreben, »whether it’s justified or not«, rief das Weiße Haus ihn schlicht dazu auf, «to work with us on getting something done«… Kurz, während die Republikaner kaum deutlicher ausdrücken könnten, dass sie in der Demokratischen Partei einen grundsätzlich illegitimen, »unamerikanischen« Feind sehen, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte, klammern sich Teile der demokratischen Führung an die Vorstellung, eine Rückkehr zur »Normalität« stehe unmittelbar bevor.
Wie lässt sich diese Differenz erklären? Sicherlich spielen taktische Motive eine Rolle. Die Demokraten setzen darauf, sich als moderate Kraft darzustellen, die sich für bipartisanship einsetzt und das Land wieder vereinen möchte. Joe Bidens Auftritt beim National Prayer Breakfast vor wenigen Wochen, bei dem er Mitch McConnell als seinen »Freund« und »man of honor« lobte, offenbarte allerdings weniger ein kalkuliertes strategisches Interesse, als vielmehr ein tief empfundenes Bedürfnis nach Harmonie über die Parteigrenzen hinweg.
Diese demokratische Beißhemmung drückt sich auch in handfesten politischen Entscheidungen aus. Der Präsident hat den Kampf gegen die antidemokratischen Kräfte bislang nicht ins Zentrum seiner Agenda gerückt und setzt stattdessen auf eine betont moderate Wirtschafts-, Sozial- und Infrastrukturpolitik, für die er – weitestgehend erfolglos – auf Mithilfe der Republikaner hoffte. Die Spitzen der demokratischen Partei sind derweilen nicht gewillt, den Kampf gegen den Autoritarismus zu ihrer zentralen Botschaft für die Midterm-Wahlen im November zu machen. Der eindrücklichste Beleg für diese Zurückhaltung ist die Tatsache, dass der beispiellose Angriff der GOP auf das öffentliche Bildungswesen bislang kaum eine demokratische Antwort hervorgerufen hat: Weit mehr als einhundert Gesetze haben die Republikaner seit der letzten Wahl in bislang 33 Staaten eingebracht, die auf eine beinahe totalitäre Überwachung des Bildungssektors abzielen und jede Kritik an der weißen christlichen Vorherrschaft streng unter Strafe stellen. Doch aus Washington hört man dazu von demokratischer Seite so gut wie nichts.
Ein wichtiger Erklärungsfaktor dürfte das hohe Alter der demokratischen Führung sein: Joe Biden ist 79; Nancy Pelosi steht kurz vor ihrem 82. Geburtstag; Steny Hoyer, der Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, ist schon 82; Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, ist mit seinen 71 Jahren geradezu der junge Wilde in dieser Riege – allerdings wie seine Kolleginnen und Kollegen ebenfalls schon seit mindestens vier Jahrzehnten im Kongress. Sie alle haben ihre politische Sozialisation also unter völlig anderen Bedingungen erlebt und sind zu einem Zeitpunkt ins politische Washington eingezogen, als parteiübergreifende Zusammenarbeit die Regel war. Auch wenn man diese Vergangenheit nicht nostalgisch verklären sollte – in der US-amerikanischen Geschichte sind gesellschaftliche Fortschritte meist auf dem Altar der bipartsianship geopfert worden –, ist es zweifellos so, dass viele demokratische Führungskräfte diese Norm der überparteilichen Kooperation noch zutiefst verinnerlicht haben. So lässt sich wohl zumindest teilweise erklären, warum die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein, 88 Jahre alt, ihr republikanisches Gegenüber Lindsey Graham zum Abschluss der Senatsanhörungen für die Ernennung von Amy Coney Barrett zum Obersten Gerichtshof im Herbst 2020 mit einer herzlichen Umarmung beglückwünschte: Ein bizarr anmutender Versuch, ausgerechnet am Ende einer zynischen Machtanmaßung der Republikaner, die unter dem Deckmantel der formellen Legalität gegen alle etablierten Normen der demokratischen Kultur verstieß, jene vergangene Kultur der persönlichen Nähe wieder aufleben zu lassen.
Über die institutionellen Traditionen und persönlichen Verbindungen hinaus gibt es aber auch tieferliegende ideologische Ursachen für die Unfähigkeit vieler Demokraten, sich ernsthaft mit der neuen politischen Realität auseinanderzusetzen. Das Verhalten führender Demokraten deutet nämlich darauf hin, dass sie eine nicht unerhebliche Nähe zu ihren republikanischen Kontrahenten empfinden, die sich aus einem gemeinsam geteilten weißen, elitären Zentrismus speist. Vermutlich ist für sie das republikanische Streben nach einer auch rechtlich abgesicherten weißen christlichen »supremacy« auch deshalb kein ganz wirklich akutes Problem, weil ihr eigener politischer und sozio-ökonomischer Status davon nicht in derselben Weise bedroht wird, wie dies für marginalisierte Gruppen und people of color der Fall ist. Das konservative Dogma, dass die Welt am besten funktioniert, wenn sie von reichen weißen Christen regiert wird, besitzt offenbar auch für wohlhabende weiße »Dems« eine nicht unerhebliche Plausibilität.
Mit anderen Worten, manche Demokraten tun sich wohl deshalb schwer, den entschlossenen Angriffen der Republikaner auf das politische System mit entsprechender Entschlossenheit zu begegnen, weil sich die ideologischen Affinitäten zwischen den (vornehmlich weißen) Eliten beider Parteien ganz grundsätzlich darauf beziehen, was – oder genauer: wer – das »wahre« Amerika ausmache und repräsentiere. Der politische Diskurs privilegiert konservative Weiße, die in der kollektiven Imagination nach wie vor im Zentrum der Nation stehen. Die Republikaner sind ohnehin seit Jahrzehnten auf die Interessen und Sensibilitäten weißer konservativer Christen fokussiert und präsentieren sich explizit als die einzig legitimen Vertreter des so verstandenen »real America«. Umgekehrt gelten zahlenmäßige Mehrheiten der Demokraten nicht viel, da sie wesentlich auf der Basis einer Koalition aus Bevölkerungsgruppen zustande kommen, deren Status als vollwertige Staatsbürger von konservativer Seite grundsätzlich als provisorisch angesehen wird.
Ein besonders bezeichnendes Beispiel dafür ist Wisconsin, das seit geraumer Zeit zum Laboratorium antidemokratischer Initiativen geworden ist. In Wisconsin können beide Parteien auf die Unterstützung von jeweils etwa der Hälfte der Bevölkerung bauen. Aber in ausgeglichene politische Machtverhältnisse setzt sich das gerade nicht um. 2018 etwa erlangten die Republikaner bei den Wahlen zur state legislature nur 45 Prozent der Stimmen, gewannen aber mit einer radikalen Verschiebung der Wahlkreisgrenzen dennoch 66 von 99 Sitzen. Ihre unanfechtbare Position in der state legislature nutzten sie dann dazu, die Macht der Ämter zu beschneiden, die noch in demokratischer Hand waren. Dieses Vorgehen legitimieren die Republikaner gerne damit, dass hinter ihnen doch die eigentliche Mehrheit der Menschen von Wisconsin stehe – wenn man nur die Städte Madison und Milwaukee rausrechne. Madison ist eine Universitätsstadt mit diverser, liberaler Bevölkerung, Milwaukee die größte Stadt des Staates, wo der überwiegende Teil von Wisconsins schwarzer Bevölkerung lebt.
Solche offenkundig diskriminierenden und rassistischen Definitionen von »real America« bestimmen aber nicht nur das Denken im konservativen Lager, sondern prägen auch die Weltsicht der moderaten und liberalen Eliten. Es ist beispielsweise auffällig, dass die Demokratische Partei in den großen liberalen Medien regelmäßig scharf dafür attackiert wird, das ländliche Amerika im Stich gelassen zu haben – während dieselben Medien nur selten auf die Idee kommen, die GOP dafür zu kritisieren, dass sie in den urbanen Zentren völlig chancenlos ist und diese offen zum Feind erklärt hat, obwohl doch hier die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung lebt. Es zählt eben vor allem das heartland, dessen vornehmlich weiße, christliche Bevölkerung den verbreiteten Vorstellungen amerikanischer Normalität am ehesten entspricht. Über dieses »echte« Amerika möchten sich auch die Demokraten nicht so einfach hinwegsetzen, selbst wenn das zu Lasten demokratischer Mehrheiten und der Interessen traditionell marginalisierter Gruppen geht. In ähnlicher Weise überformen solche Vorstellungen von weißer christlicher Normalität derzeit auch den Kampf um die öffentliche Bildung. Da ist oft von »besorgten Eltern« zu lesen, deren Kindern in der Schule eingeredet werde, sie seien Rassisten – dabei geht es offensichtlich nur um die Sorgen konservativer – und unausgesprochen: weißer – Eltern, deren Sensibilitäten unter der Hand zur Norm erklärt werden.
Schließlich gehen die ständigen Versuche, die sich radikalisierende Republikanische Partei zu normalisieren, auch auf zwei weit verbreitete Mythen zurück, die den kollektiven Vorstellungshaushalt der Nation seit jeher bestimmt haben: den Mythos des US-amerikanischen Exzeptionalismus und den Mythos weißer Unschuld. Seine Hochzeit mag der sogenannte »Liberale Konsens« – tatsächlich vor allem eine Übereinkunft unter der weißen männlichen Elite – in der unmittelbaren Nachkriegszeit erlebt haben. Aber seine exzeptionalistischen Grundannahmen sind nach wie vor weit verbreitet: Dass Amerika eine moralische Instanz sei und eine Kraft, die das Gute in der Welt repräsentiert, und dass die US-amerikanische Gesellschaft im Kern gesund und auf dem richtigen Weg sei, alle womöglich noch bestehenden Probleme zu überwinden.
Solche Vorstellungen gehen oft mit einer mythischen Erzählung von der Vergangenheit einher, von der USA als »ältester, konsolidierter Demokratie« der Welt. Doch zeigt der Blick auf die Praxis ein politisches System, das bis in die 1960er Jahre nur für weiße Männer eine mehr oder weniger funktionierende Demokratie war. Jahrhunderte alt und relativ stabil war in den USA nur eine eng beschränkte Form der Demokratie, eine white man’s democracy auf dem Boden einer rassistischen Kastengesellschaft, die eine weiße, christliche, patriarchale Vorherrschaft in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur weitgehend unangetastet ließ. Erst die Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre setzten die USA auf den Pfad einer multirassischen, pluralistischen Demokratie – und der Konflikt darüber, ob darin die Erfüllung oder der Untergang des amerikanischen Versprechens zu sehen sei, bestimmt das Land seither. Dennoch hält sich im politischen Zentrum und dem liberalen Lager hartnäckig die Vorstellung, als »old« und »consolidated« sei die amerikanische Demokratie immun gegen die autoritäre Bedrohung. Einzugestehen, dass die US-amerikanische Rechte im Allgemeinen und die Republikanische Partei im Besonderen fest in der Hand reaktionärer, antidemokratischer Kräfte sind, würde dieses Weltbild in seinen Grundfesten erschüttern.
Dazu wird der US-amerikanische politische Diskurs nach wie vor vom Dogma weißer Unschuld geprägt. Ökonomische Abstiegsängste, Protest gegen die Machenschaften einer abgehobenen Elite, ein backlash gegen die vermeintlichen Exzesse der Liberalisierung: Was auch immer hinter dem politischen Extremismus von Teilen der weißen Bevölkerung stehe, so sei es doch auf keinen Fall angemessen, von Rassismus zu sprechen, und in jedem Falle sei das politische Handeln dieser Menschen nachvollziehbar und im Wesentlichen gerechtfertigt. Das Dogma weißer Unschuld macht sich besonders dann bemerkbar, wenn es darum geht, den Aufstieg weißer Nationalisten zu erklären, zuletzt den von Donald Trump. Die veröffentlichte Meinung über alle rechten Demagogen weist erstaunliche Kontinuitäten und Parallelen auf. Als beispielsweise David Duke 1990 bei den Senatswahlen in Louisiana mit 43 Prozent der Stimmen nur knapp scheiterte, waren sich die großen Zeitungen des Landes weitgehend einig: Mit Rassismus sei die Unterstützung für Duke, ehemals Anführer des Ku Klux Klans, nicht zu erklären – vielmehr hätten die Menschen ihn vermutlich aus wirtschaftlicher Not und schierer Verzweiflung gewählt.
»I actually like Mitch McConell», hat Joe Biden neulich bei einer Pressekonferenz gesagt – und damit einen Einblick geboten in das, was er in seinen Republikanischen Kontrahenten sieht: Egal, was sie tun, in ihrem Herzen sind es ordentliche Leute, die sich auch sicher ganz bald wieder zusammenreißen werden. Es ist die Manifestation einer spezifischen Weltsicht, die es beinahe unmöglich macht, das Ausmaß der republikanischen Radikalisierung und das Wesen des politischen Konflikts angemessen zu erfassen. Die Konsequenzen dieser Haltung sind allerdings dramatisch. Sie könnte der US-amerikanischen Demokratie schon bald zum Verhängnis werden.
Der Artikel erschien zuerst auf ▸Geschichte der Gegenwart. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Thomas Zimmer ist DAAD Visiting Professor an der Georgetown University in Washington, DC (USA), wo er zur transatlantischen Geschichte der Demokratie und ihrer Gegner im 20. Jahrhundert forscht und lehrt.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/die-bedrohung-der-amerikanischen-demokratie-und-die-schwaeche-der-demokraten--2407.html | Gedruckt am: 14.12.2024