Das Bedingungslose Grundeinkommen – Weg ins Schlaraffenland oder in den Niedriglohnsektor?

1. Juli 2021 | Kai Eicker-Wolf

Auch nach dem zu erwartenden Abklingen der Pandemie im Sommer wird das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nicht aus den Medien verschwinden, da die Partei DIE LINKE nach der Bundestagswahl einen Mitgliederentscheid über die Aufnahme einer entsprechenden Forderung in ihr Parteiprogramm durchführen wird. Eine parteiinterne Bundesarbeitsgruppe zum Grundeinkommen hat diese Entscheidung durch das Sammeln einer ausreichenden Zahl von Unterschriften durchgesetzt, während der Parteivorstand – und vermutlich auch eine Mehrheit der Parteifunktionäre und der Mandatsträger – das BGE ablehnt.

Das BGE hat nicht nur in der LINKEN eine große Anhängerschaft, sondern in fast allen politischen Lagern. So gibt es auch bei den Grünen zahlreiche BGE-Befürworterinnen und Befürworter. Vereinzelt sprechen sich selbst Unternehmer:innen für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus.

Alle BGE-Vorschläge weisen eine Gemeinsamkeit auf: Sämtliche Mitglieder eines Gemeinwesens erhalten ein Einkommen, ohne dafür irgendeine Arbeit oder irgendeinen Beitrag leisten zu müssen. Wie hoch Einkommen und Vermögensbesitz der einzelnen Person ausfallen, spielt für den Bezug des Grundeinkommens ebenfalls keine Rolle. So erhalten der Erwerbslose und die Einkommensmillionärin beide den gleichen Betrag vom Staat. Wenig verwunderlich stößt das Bedingungslose Grundeinkommen bei vielen Menschen auf Sympathie – wer würde sich nicht über einen Geldtransfer ohne jede Gegenleistung freuen?

Die Debatten um das Für und Wider eines BGE werden in Deutschland seit gut 15 Jahren verstärkt geführt. Zentraler Auslöser waren die Schrödersche Agenda-Politik und die Hartz-Gesetze: Von 2003 bis 2005 wurden Arbeitsmarktreformen umgesetzt, die auf eine Deregulierung des Arbeitsmarktes zielten und etwa verschärfte Zumutbarkeitskriterien oder den Abbau von Beschränkungen im Bereich der Leiharbeit mit sich brachten. Parallel zur Umsetzung der Hartz-Reformen wurde eine Auseinandersetzung geführt, die sich um noch weitergehende Deregulierungen des Arbeitsmarktes drehten. Bedeutsam für die BGE-Diskussionen waren und sind auch die immer ungleicher ausfallende Einkommensverteilung, die stark gestiegene Armutsgefährdung und insbesondere der im europäischen Vergleich trotz Mindestlohn nach wie vor sehr große Niedriglohnsektor in Deutschland.

In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl von BGE-Konzepten zur Diskussion gestellt worden. Diese weisen eine unterschiedliche Reichweite auf – unter Umständen wird kaum mehr als der monatliche BGE-Betrag genannt. Einige Konzepte beinhalten allerdings detaillierte Finanzierungs- und weitere sozial- und arbeitsmarktpolitische Vorschläge. Diese umfassenderen BGE-Modelle lassen sich idealtypisch in zwei Gruppen einteilen, sozialutopischen stehen neoliberale Konzeptionen gegenüber. Der Unterschied beruht dabei weniger auf der konkreten Höhe des BGE, sondern vielmehr auf den darüber hinaus vorgesehenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik.

Neoliberale Vorschläge setzen häufig auf ein Grundeinkommen, das zum Leben nicht ausreicht. Aber die Höhe des BGE ist für die Charakterisierung als neoliberal alleine nicht entscheidend. Vielmehr verbinden neoliberale BGE-Ideen – besonders prominent sind jene des Unternehmers Götz Werner oder des Ökonomen Thomas Straubhaar – mit dem BGE die Herstellung eines vollkommen deregulierten Arbeitsmarktes ohne Tarifverträge und Kündigungsschutz. Ziel ist ein Sinken der Arbeitskosten und ein umfassender Niedriglohnsektor, was durch den Wegfall von tariflich fixierten Löhnen und arbeitsmarktpolitischen Schutzmechanismen und das so entfachte Lohndumping auch erreicht würde. Letzteres streben sozialutopische Modelle explizit nicht an. Vielmehr wollen sie die bestehenden Arbeitsmarktregulierungen erhalten oder sogar stärken – etwa durch eine Erhöhung des Mindestlohns. Zu den sozialutopischen Modellen zählen die Vorschläge von relevanten Strömungen in der Partei Die LINKE, bei Bündnis 90/Die Grünen bzw. im globalisierungskritischen Netzwerk Attac.

Erstaunlicherweise greifen die Befürworter sowohl neoliberaler als auch sozialutopischer Modellvarianten häufig auf die gleiche Begründung für ihre Ideen zurück – das Entstehen von technologisch bedingter Arbeitslosigkeit. Dieses Argument wird insbesondere in den letzten Jahren mit Bezug auf die so genannte Digitalisierung vertreten: Künstliche Intelligenz und die zunehmende Verbreitung von Robotern, so die Befürchtung, führten zukünftig dazu, dass immer weniger menschliche Arbeit zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen erforderlich sei. Als Ausweg wird das Bedingungslose Grundeinkommen gesehen, das unter anderem zur Stabilisierung der Massenkaufkraft dienen soll.

Tatsächlich hat diese Argumentation keine Substanz. Denn zum einen ist in der Geschichte des Kapitalismus keine längere Zeitspanne bekannt, in der Produktivitätssteigerungen Massenarbeitslosigkeit zur Folge gehabt hätten. Verantwortlich für einen Einbruch in der Beschäftigung sind vielmehr immer konjunkturelle Abschwünge oder wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen gewesen. Zum anderen ist gerade in den vergangenen Jahrzehnten in den führenden kapitalistischen Ländern ein starker trendmäßiger Rückgang der Produktivitätssteigerungsraten zu beobachten. Dies gilt auch für die letzten zehn Jahre. Das heißt aber, dass sich der technologische Fortschritt massiv verlangsamt hat, und dass auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene in der jüngsten Vergangenheit überhaupt keine besonderen Rationalisierungseffekte aufgrund der Digitalisierung auszumachen sind.

Ein Argument, das ebenfalls häufig für die Einführung eines BGE angeführt wird, ist die Hoffnung, ein Bedingungsloses Grundeinkommen ermögliche freiwillige und gemeinschaftliche, das heißt ehrenamtliche Tätigkeiten, die die Wohlfahrt in der Gesellschaft erhöhen könnten. Letzteres zielt dabei insbesondere auf Betreuung und Pflege. Tatsächlich bestehen im Bereich der sozialen Dienstleistungen erhebliche Beschäftigungslücken. In diesem Dienstleistungssegment liegen gerade bei Gesundheit und Pflege sowie Erziehung und Bildung erhebliche Beschäftigungspotenziale, die aber ein hochqualifiziertes, professionelles und gut bezahltes Personal erfordern. Niedriglohnbeschäftigung oder gar Ehrenamt sind hier völlig fehl am Platze. Erforderlich wäre gerade eine bessere Bezahlung der Tätigkeiten und vernünftige Personalschlüssel. Ein BGE hilft auch hier nicht weiter, ganz im Gegenteil.

Aber auch unabhängig von der Begründung erscheint die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens weder in einer neoliberalen noch einer sozialutopischen Variante erstrebenswert. Neoliberale BGE-Modelle würden mit ihren schon erwähnten arbeitsmarktpolitischen Ideen und ihren Finanzierungsvorschlägen – beliebt sind unter anderem so genannte Flat-Tax-Modelle (nur ein Steuertarif im Bereich der Einkommenssteuer) – die Ungleichverteilung in der Gesellschaft massiv vergrößern. Besonders radikal fallen die Finanzierungsvorschläge des schon erwähnten Götz Werner aus. Werner – Gründer der Drogeriemarktkette dm – schlägt vor, zur Finanzierung staatlicher Leistungen (unter anderem auch des Bedingungslosen Grundeinkommens) nur noch den Konsum zu besteuern und alle anderen Steuern abzuschaffen. Die Verteilungswirkungen dieses Vorschlags, würde er denn umgesetzt, wären verheerend. Sämtliche Steuern, die die Ungleichheit der Markteinkommen oder der Vermögensverteilung auch nur im Ansatz korrigieren (Steuern auf Unternehmensgewinne, die progressive Einkommensteuer, die Besteuerung von Erbschaften usw.), würden abgeschafft. Übrig blieben die Verbrauchssteuern, die von Unternehmen in die Preise überwälzt werden und die hohe Einkommen (relativ) weniger stark belasten als geringe. Dieser Effekt gründet darin, dass die Sparmöglichkeiten einkommensabhängig sind: Während Personen mit einem kleinen Einkommen ihr gesamtes Geld zum Leben verausgaben (müssen), bleibt den so genannten Besserverdienenden noch viel übrig – je höher deren Einkommen ist, desto größer wird ihre Ersparnis.

Im Gegensatz dazu setzen sozialutopische Konzeptionen auf eine radikale Umverteilung von oben nach unten. Die Finanzierung soll durch eine (höhere) Besteuerung von Einkommen oder etwa durch Abgaben im Rahmen einer Bürgerversicherung erfolgen. Dabei würde sich ein unrealistisch hohes Umverteilungsvolumen ergeben. Angestrebt wird von diesen Modellen ein BGE in Höhe von rund 1.000,- Euro pro Monat, was einem jährlichen Finanzierungsvolumen von etwa einer Billionen Euro und damit rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Das innerhalb der LINKEN zur Diskussion stehende BGE beläuft sich konkret auf 1.180 Euro, Kinder bis zum 16. Lebensjahr sollen die Hälfte erhalten. Würde eine entsprechende Finanzierung durch höhere Steuern und/oder Sozialabgaben erfolgen, dann würden die Steuer- und Abgabensätze auch für bereits geringe Einkommen massiv steigen. Vermutlich wäre mit einem massiven Anstieg der Schwarzarbeit zu rechnen – was die Finanzierungsmöglichkeiten verringern würde.

Zudem wäre davon auszugehen, dass ein existenzsicherndes Bedingungsloses Grundeinkommen mit einer Einschränkung des Arbeitskraftangebots einhergehen würde. Dies aber hätte eine geringere Wertschöpfung, Wohlfahrtseinbußen und eine Abnahme der zu besteuernden Einkommen zur Folge – die Finanzierungsgrundlage würde auch hierdurch erodieren. So sind viele anstrengende und schwere Tätigkeiten wichtig für die Wohlfahrt einer Gesellschaft – diese können zum Teil nicht einmal rationalisiert werden. Ein Beispiel sind die schon erwähnten Pflegetätigkeiten. Hier fehlt es bereits jetzt aufgrund der vergleichsweise schlechten Bezahlung und der hohen Arbeitsbelastung an Personal. Mehr qualifiziertes Personal lässt sich aber nur durch eine deutlich bessere tarifliche Bezahlung gewinnen. Daneben gibt es auch unentbehrliche Tätigkeiten, die ausreichend entlohnt werden, bei denen ein BGE ebenfalls zu einer problematischen Einschränkung der Beschäftigung führen würde. Nehmen wir das Beispiel der Ärztinnen und Ärzte in Kliniken. Ihre Bezahlung ist gut, die Arbeitsbelastung aber groß. Ein BGE könnte sie veranlassen, ihre Tätigkeiten deutlich zu reduzieren, wodurch ihr Angebot an notwendigen Dienstleistungen abnehmen würde. Nicht ein BGE wäre hier zielführend, sondern ein leichterer Zugang zum Medizinstudium und mehr Studienplätze.

Alle sozialutopischen Varianten des Bedingungslosen Grundeinkommens fußen letztlich auf der Vorstellung, sich von der Arbeit befreien zu können. Dies aber ist für eine Gesellschaft als Ganzes nicht möglich. Natürlich basiert in kapitalistischen Konkurrenzgesellschaften die Nichtarbeit Weniger auf der Ausbeutung Vieler. Hiergegen aber helfen keine simplen und individualistischen Illusionen wie das BGE. Erforderlich ist vielmehr die kollektive Organisation der eigenen Interessen, um Ausbeutungsverhältnissen zumindest Grenzen zu setzen, um für eine bessere Entlohnung sowie vernünftige Arbeitsbedingungen zu kämpfen – und um Privilegien reicher Minderheiten zu beseitigen.

Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/das-bedingungslose-grundeinkommen-weg-ins-schlaraffenland-oder-in-den-niedriglohnsektor--2390.html   |   Gedruckt am: 25.04.2024