...Schuld ist immer der Deckel

20. April 2021 | Jonathan Diesselhorst, Maximilian Fuhrmann, Patrick Schreiner

Am 23. Februar 2020 war die erste Stufe des Berliner Mietendeckels in Kraft getreten. Stadtweit wurden die Mieten auf dem Niveau vom 18. Juni 2019 eingefroren. Zum Jahrestag dieser ersten Stufe und erneut nach der Verkündung des Verfassungsgerichts-Urteils waren zahlreiche Artikel erschienen, die ein negatives Licht auf dieses sehr weitgehende Instrument der Mietenregulierung warfen. Häufig brachten sie neben juristischen auch ökonomische Argumente vor. In der Kritik stand dabei häufig die zweite Stufe des Mietendeckels, die am 23. November in Kraft trat. Zu diesem Stichtag mussten Mieten, die die Grenze von 20 Prozent oberhalb der Mietoberwerte überschreiten, auf diesen Schwellenwert abgesenkt werden. Wir möchten im Folgenden die gängigsten Gegenargumente diskutieren:

1. Das Angebot an Mietwohnungen nehme ab.

Das DIW und jüngst das ifo-Institut meldeten, dass das Angebot an Mietwohnungen im vom Mietendeckel erfassten Segment zurückgegangen sei. Allerdings zeigen die Zahlen des ifo auch, dass dieser Trend schon vor dem Mietendeckel eingesetzt hat. Auch kann ein rückläufiges Angebot – unter anderem – darauf zurückzuführen sein, dass schlicht weniger Umzüge stattfinden. Dies ist für Städte mit strikterer Mietpreisregulierung nicht untypisch. In Corona-Zeiten ist es auch nicht überraschend – wer kann, bleibt erst mal wohnen.

Soweit der Mietendeckel tatsächlich eine Zurückhaltung bei Vermieter*innen ausgelöst hat, wäre diese wohl nur vorübergehend gewesen. Schließlich war ja das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch offen. Zum anderen war der Fortbestand des Mietendeckels ein Stück weit von den politischen Verhältnissen nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im September 2021 abhängig. Manche mögen darauf gehofft haben, dass der Mietendeckel politisch oder juristisch noch gekippt wird und deshalb Wohnungen vorübergehend leer stehen lassen. Im Nachhinein betrachtet, haben diese Vermieter*innen – aus Ihrer Sicht – klug gepokert. Hätte der Mietendeckel hingegen verfassungsrechtlich Bestand gehabt, wäre es ökonomisch unvernünftig gewesen, Wohnungen dauerhaft leer stehen zu lassen.

2. Man müsse das Angebot an Mietwohnungen erhöhen, statt die Preise zu deckeln.

An den Wohnungsmärkten übersteigt vielerorts die Nachfrage das Angebot, was zu steigenden Preisen führt. Diese werden gerne als ein Anreiz interpretiert, das Angebot an Mietwohnungen durch Neubau zu erweitern, was wiederum die Mietpreise senke. Tatsächlich können überschießende Preise aufgrund eines Nachfrageüberhangs funktionell sein, wenn sie dazu führen, dass mehr investiert wird und so das Angebot zunimmt. So führte die Preisexplosion bei Corona-Masken im Frühjahr 2020 zu zusätzlichen Anbietern und Investitionen. Viele – bis in die Unionsfraktion hinein – wollten mitverdienen. Das Angebot an Masken stieg, die Preise normalisierten sich. Das war ziemlich genau das, was auch Ökonomie-Lehrbücher schreiben.

Das Problem dabei: Mit dem Wohnungsmarkt hat das wenig zu tun. Denn der weist Besonderheiten auf, allen voran einen Mangel an Boden. Auch braucht Bauen einen hohen Einsatz an Kapitel und viel Zeit. Beides führt dazu, dass das Angebot trotz überschießender Preise gar nicht schnell genug und ausreichend nachziehen kann. Aus unterschiedlicher Lage und Qualitäten von Wohnungen (zum Beispiel Größe und Ausstattung) folgt auch, dass das Angebot auf dem Wohnungsmarkt nicht gleich Angebot ist. Der Wohnungsmarkt zerfällt vielmehr in räumlich und sachlich differenzierte Teilmärkte. Der Lehrbuch-Mechanismus funktioniert vor diesem Hintergrund bestenfalls eingeschränkt.

3. Aufträge gingen zurück bzw. es gebe weniger Neubau.

Korrekt ist, dass die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in Berlin 2020 gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent abgenommen hat. Ebenso trifft zu, dass die Aufträge im Berliner Baugewerbe in 2020 gegenüber dem Vorjahr rückläufig sind – nachdem sie 2019 einen historischen Höchststand erreicht hatten.

Wer meint, daraus ableiten zu können, dass ein Mietendeckel zu weniger Neubauwohnungen führe, macht es sich dennoch zu einfach. Denn da das Berliner Gesetz nur für Wohnungen galt, die vor dem Jahr 2014 errichtet wurden, hatte es auf die Rentabilität von Neubauwohnungen keine unmittelbaren Auswirkungen. Ähnliches gilt für die Vorschläge eines Mietendeckels oder Mietenstopps auf Bundesebene. Da Neubau größtenteils durch Kredite finanziert wird, sind nicht die Mieten im Wohnungsbestand, sondern vor allem die erwartbaren Neubaumieten maßgeblich für die Investitionsentscheidung. Die Preisentwicklung bei Neubauwohnungen deutet indes nicht darauf hin, dass die Renditeerwartungen hier getrübt sind. Dass zum Beispiel kleinere Genossenschaften Vorhaben aufschieben, da sie infolge eines Mietendeckels weniger Eigenkapital einbringen können, mag zwar in Ausnahmefällen vorkommen. Für das Gros der Investor*innen aber ist mangelndes Kapital angesichts der Mietsteigerungen der letzten Jahre und günstiger Finanzierungsbedingungen nicht das größte Hemmnis. Entscheidender ist der Mangel an Bauland.

Beim Rückgang der Bauaufträge müssen zudem mögliche Effekte der Corona-Pandemie in Betracht gezogen werden. Auch ist noch unklar, ob der Rückgang den Neubau von Wohnungen betrifft, oder ob der Mietendeckel schlicht zu weniger Sanierungen im Wohnungsbestand geführt hat. Die regionale Baustatistik unterscheidet nicht zwischen Neubau und Sanierung. Dass infolge eines Mietendeckels weniger Wohnungsmodernisierungen stattfinden, ist nicht auszuschließen. Denn anders als beim Neubau sind die erzielbaren Mieten nach einer Modernisierung gesetzlich gedeckelt. Oft wird aber nicht aus Notwendigkeit modernisiert, sondern um höhere Mieten durchzusetzen. Solche Luxussanierungen zu unterbinden, dürfte durchaus im Sinne eines solchen Gesetzes sein. Etwas anders verhält es sich mit energetischen Sanierungsmaßnahmen: Hier ist der Einwand, dass notwendige Investitionen ausbleiben, schon eher begründet. Eine Auflösung des Widerspruchs zwischen Klimaneutralität im Wohnungsbestand und stabilen bezahlbaren Mieten ist jedoch – Mietendeckel auf oder zu – ohnehin nur durch eine massive öffentliche Förderung möglich.

4. Es profitierten vor allem die gut situierten Haushalte vom Mietendeckel.

Mit diesem Argument verweisen Kritiker*innen des Berliner Deckels gerne auf die absoluten Absenkungsansprüche. Dies greift aber zu kurz. Denn gerade bei Geringverdiener*innen sinkt die Mietbelastungsquote durch eine Mietabsenkung vergleichsweise stark. Schon 50 Euro entsprechen bei einem Einkommen von 1000 Euro einer um fünf Prozent niedrigeren Mietbelastungsquote. Bei einem Einkommen von 5000 Euro sind dafür schon 250 Euro notwendig. Bereits geringfügige Mietabsenkungen können also Geringverdiener*innen erheblich entlasten.

Im diesem Zusammenhang wird auch völlig außer Acht gelassen, dass von der ersten Stufe die Mietendeckels, also dem Einfrieren der Mieten, vor allem Geringverdiener*innen profitiert haben. Denn am stärksten haben sich die Angebotsmieten von den Bestandsmieten in den ehemaligen Arbeiterbezirken Neukölln und Wedding entkoppelt. Hier liegen die Angebotsmieten mittlerweile auf dem Niveau des Nobelbezirks Dahlem. Vom Schutz vor potentiellen Mieterhöhungen profitierten daher vor allem Bestandsmieter*innen in diesen vergleichsweise armen Bezirken.

Das Argument verkennt auch, dass der Berliner Mietendeckel Preise regulierte. Er ist kein Sozialrecht, das auf individuelle Einkommensverhältnisse abstellt. Genau wie das Mietrecht im BGB. Dieses stellt bezeichnenderweise niemand in Frage. Wie übrigens auch nicht die Preisbindung bei Büchern oder den reduzierten Mehrwertsteuersatz. Wer ein Buch oder ein Brot kauft, wird auch nicht nach dem Verdienst gefragt, um den Buch-/Brotpreis individuell anzupassen. Umverteilung findet durch Steuern statt, nicht durch das Mietrecht. Wer nicht möchte, dass die tatsächlich Wohlhabenden vom Mietendeckel profitieren, der setze sich für eine Vermögenssteuer, eine höhere Erbschaftssteuer und ein gerechteres Einkommenssteuersystem ein.

Schlussbemerkung

Politik muss grundsätzlich entscheiden, nach welchen Kriterien Wohnraum verteilt wird. Sie kann auf eine Mietpreisregulierung verzichten und damit entscheiden, dass (nur) wohnen soll, wer es sich leisten kann. Oder sie kann Mietpreise deckeln, wodurch die Chancen weniger Betuchter auf Wohnraum steigen. Dass auch im zweiten Fall neu gebaut werden muss, um die steigende Nachfrage bestmöglich zu bedienen, ist klar. Aber Politik gibt sich dann immerhin nicht mehr der Illusion hin, man könne in stark nachgefragten Metropolen alleine durch eine Ausweitung des Angebots die Mietpreise steuern.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel nun gekippt. Das ist bedauerlich – sollte aber Anreiz sein, auf Bundesebene Miet-Obergrenzen für angespannte Wohnungsmärkte einzuführen. Die anstehende Bundestagswahl ist eine gute Gelegenheit, dieses Thema voranzubringen und die Parteien auf den Prüfstand zu stellen.

Jonathan Diesselhorst arbeitet im Bereich Wirtschaftspolitik der Gewerkschaft IG BAU.

Maximilian Fuhrmann ist Referatsleiter für Wohnungspolitik beim DGB-Bundesvorstand.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/schuld-ist-immer-der-deckel--2386.html   |   Gedruckt am: 23.04.2024