Rezension

The European Central Bank

11. Februar 2021 | Kai Eicker-Wolf

Die Gründung von EZB und Europäischer Währungsunion (EWU) wird von den beiden Autoren in die Geschichte der europäischen Integration und die Entwicklung des Weltwährungssystems eingebettet. Dabei sind die ausgemachten Motive für die an der Währungsunion teilnehmenden Länder durchaus verschieden: Während es für Deutschland um Zustimmung für die deutsche Einheit ging, wollten die anderen Staaten die geldpolitische Vormachtstellung der Deutschen Bundesbank in Europa abschaffen. Das hohe Vertrauen in die DM als regionaler Leitwährung im Europäischen Währungssystem führte dazu, dass andere europäische Länder ihre Zinspolitik an jener der Bundesbank ausrichten mussten: Der deutsche Zinssatz musste immer signifikant überboten werden. Eine gemeinsame Währung versprach geringere Zinsen und eine gemeinsame Zentralbank eine demokratischere Geldpolitik. Generell wurde von der Gemeinschaftswährung Euro auch eine stärkere Position im internationalen Währungssystem – insbesondere gegenüber den USA und dem US-Dollar – erhofft.

Heine/Herr gehen neben dem organisatorischen Aufbau der EZB auch näher auf die Veränderungen in der geldpolitischen Strategie ein. Der Schwerpunkt des Buchs liegt jedoch auf der Darstellung und Bewertung der EZB-Geldpolitik, die in verschiedenen Punkten mit der Politik der amerikanischen Zentralbank verglichen wird.

Als ein grundlegendes Problem hat sich, so Heine/Herr, die mangelnde Lohnkoordinierung im Euroraum erwiesen, was zu einer divergierenden Entwicklung der Lohnstückkosten und damit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit geführt hat. Insbesondere Deutschland sticht hier bis zur Weltwirtschaftskrise durch extrem geringe Lohnanstiege hervor. Verbunden mit Wachstumsdifferenzen habe dies zu erheblichen Ungleichgewichten im Außenhandel geführt: Den steigenden deutschen Überschüssen standen wachsende und hohe Defizite – insbesondere in den Eurokrisenländern Italien, Irland, Spanien, Portugal und Griechenland – gegenüber. Diese Länder gerieten infolge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise aufgrund steigender Zinsen unter massiven Druck. Dabei spielt zum einen die so genante No-Bailout-Klausel eine Rolle, nach der eine Haftung von für Verbindlichkeiten in der EU für einzelne Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist. Zudem verfügen die EWU-Länder über keine eigene Zentralbank, die die jeweilige Regierung im Notfall vor dem Bankrott bewahren kann.

Ein weiteres Hemmnis besteht nach Auffassung von Heine/Herr in den immer wieder geänderten bzw. ergänzten fiskalpolitischen Regeln der EWU: Diese sind in ihrer Ausgestaltung vor allem auf geringe Defizite und einen geringen Schuldenstand ausgerichtet. Eine eigentlich erforderliche enge fiskalpolitische Koordination im Euro-Währungsraum werde so massiv erschwert. Eine solche Abstimmung ist umso dringlicher, als die EZB anders etwa als die amerikanische FED keinen fiskalpolitischen Partner hat – auf der Ebene der EU falle das Budget hierzu viel zu klein aus. Es ist deshalb, so Heine/Herr, auch kein Wunder, dass während der Weltwirtschaftskrise keine abstimmte Fiskalpolitik in der EU erfolgte.

Im Gegensatz zu den USA ist es in der Eurozone wie schon angesprochen möglich, dass Länder in die Insolvenz gehen. Der EZB ist es strikt untersagt, die öffentlichen Budgets der Mitgliedsstaaten oder der EU zu finanziell zu unterstützen. Dies soll dafür sorgen, dass die Finanzmärkte fiskalpolitisch »undisziplinierte« Staaten mit höheren Zinsen bestrafen – ein Effekt, der in der Eurokrise ab 2010 so zu beobachten war, und der für die davon betroffenen Länder wie Griechenland im Zusammenhang mit der aufgezwungenen Stagnationspolitik der Troika verheerende wirtschaftliche Folgen hatte. Da der Euroraum im Jahr 2012 auseinanderzubrechen drohte, ist die EZB faktisch durch ihre Geldpolitik doch zum Lender of last Resort für die öffentlichen Haushalte geworden – durch die Nullzins-Politik sowie das Versprechen des unbegrenzten Kaufs staatlicher Wertpapiere im Notfall, und ab 2015 durch das praktizierte Quantitative Easing, das als indirekte Staatsfinanzierung zu werten ist. Diese Politik ist in der Covid-Krise von der EZB dann weiter intensiviert worden. Im März 2020 hat die Europäische Zentralbank ein zeitlich befristetes Programm zum Ankauf von Wertpapieren des privaten und des öffentlichen Sektors in Höhe von 750 Milliarden Euro aufgelegt – dieses Programm ist mittlerweile auf 1,85 Billionen Euro ausgeweitet worden.

Ihr gut strukturiertes und inhaltlich fundiertes Buch schließen die beiden Autoren mit einer klaren Empfehlung zu einer schnelleren und weiteren Integration der Europäischen Währungsunion ab. Unter anderem sprechen sie sich für eine Stärkung der Fiskalpolitik auf der europäischen Ebene aus, um hier Aufgaben im Bereich des Klimaschutzes und der Infrastruktur anzusiedeln. Beide plädieren auch für eine Transferunion und die Möglichkeit, Eurobonds zu emittieren.

Mit dieser auf Englisch verfassten Publikation knüpfen die beiden thematisch an ihr Buch »Die Europäische Zentralbank« an, das zuletzt in dritter Auflage im Jahr 2008 erschienen ist. Es handelt sich bei »The European Central Bank« aber nicht um eine aktualisierte Übersetzung, sondern faktisch um ein neues Buch zum gleichen Thema.

»The European Central Bank« liefert eine anschaulich geschriebene Analyse zur Geschichte der Europäischen Währungsintegration und benennt die wesentlichen Herausforderungen für die kommenden Jahre. Es bleibt zu hoffen, dass die unterbreiteten progressiven Politikvorschläge aufgegriffen werden. Ansonsten dürften die Krisenprozesse in der Währungsunion zum Dauerzustand werden.

Bibliografische Angaben

Michael Heine/Hansjörg Herr: The European Central Bank. Agenda Publishing, 192 Seiten, 26,41 Euro (Taschenbuch-Ausgabe).

Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/the-european-central-bank--2382.html   |   Gedruckt am: 04.05.2024