19. September 2019 | Redaktion
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Der Kampf gegen die Austeritätspolitik ist ein wesentlicher Schritt zur progressiven Lösung der aktuellen globalen Krise. Er ist insofern auch ein entscheidender Faktor für den Erhalt und die Ausweitung demokratischer Verhältnisse.
Der Einzug der Af D in den Bundestag und eine immer skrupelloser auftretende gesellschaftliche Rechte offenbaren die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Politik für demokratische Prozesse und wie sehr eine rigide Austerität und sozialer Kahlschlag allerlei reaktionären Kräften in die Hände spielen.
Schon das rechtliche »Schuldenabbaugebot« im Grundgesetz und in zahlreichen Landesverfassungen beschneidet die Handlungsspielräume des Bundestags und der Landesparlamente signifikant. Dringend notwendige parlamentarische Initiativen zur Reduzierung des Investitionsstaus in Bezug auf öffentliche Gebäude, Einrichtungen und Dienstleistungen werden so behindert. Die über 100 Milliarden Euro, die für einen sinnvollen Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge mindestens nötig wären, sind ohne Steuererhöhungen mit einem Haushalt, der auf die Einhaltung der Schuldenbremse verpflichtet ist, kaum zu haben. Eine Diskussion darüber soll schon im Keim erstickt werden. Wenig überraschend und auch politisch gewollt, entwickelt eine Gesellschaft, die jahrelang von parlamentarischer Belanglosigkeit, fehlenden öffentlichen Investitionen, Kürzungen und Privatisierungen traktiert ist, den für antidemokratische Tendenzen empfänglichen Nährboden.
Auch ganz materiell werden seit Jahren große Teile der Bevölkerung von politischen Diskussions- und Entscheidungsprozessen abgekoppelt. Dass folglich sozial und wirtschaftlich schlechter gestellte Bevölkerungsschichten seltener zu Wahlen gehen als die bürgerlichen Milieus der Ober- und Mittelschicht, ist nur die Spitze des Eisbergs. Zwischen Hartz-IV-Antrag und Arbeitsamt soll schlicht niemand mehr Zeit oder Muße für politische Betätigung haben, geschweige denn auf die Idee kommen, soziale Veränderungen seien notwendig und möglich. So wundert es wenig, wenn dann den demagogischen Erklärungen über optional »den Flüchtling«, »den faulen Griechen«, »den Juden«, etc. geglaubt wird und die »Alternative für Deutschland« gerade im schon abgeschriebenen und von den Parteien der »Mitte« auch bewusst ignorierten Nichtwähler:innenspektrum punkten konnte.
Besonders übel wirkt die Austeritätspolitik und ihre Ideologie auf das politisch vermittelte, öffentliche Verständnis von Demokratie und Gesellschaft. Die Behauptung der Unberechenbarkeit der (globalen) Wirtschaft, die Degradierung der Politik zu bloßer Reaktion auf scheinbare Sachzwänge, technische Mangelverwaltung und populistische Symbolpolitik sowie die Negation der kollektiven Gestaltbarkeit konkreter Lebensverhältnisse sollen die Bevölkerung im Konsument:innen-Dasein einschläfern – damit sie eben nicht die gemeinsamen Angelegenheiten in die eigenen Hände nehme, wie es wirklich demokratischer Praxis entspräche.
Schließlich treffen sich konzernloyale »Interessenvertretung« in den Parlamenten und rechte Hetze auch inhaltlich: Durch beide wird der Interessengegensatz zwischen extrem reicher Minderheit und Bevölkerungsmehrheit, zwischen Oben und Unten, bewusst verwischt: bei der Schuldenbremse durch die Behauptung von Konzernmacht und Konkurrenz als natürlichen Tatsachen, bei den Rechten durch die Hetze gegen Mitmenschen einer anderen nationalen, ethnischen oder sonstwie herbeifabulierten Identität.
Die Konsequenzen, die die Austeritätspolitik für die Entwicklung einer Gesellschaft und schließlich die ganze Welt haben kann, zeigten sich bereits nach der Weltwirtschaftskrise 1929. Die tiefe wirtschaftliche Rezession in Deutschland beantwortete die Regierung Brüning, die ab 1930 ohne Rückkopplung an Parlament und demokratische Öffentlichkeit per Notverordnungen regierte, mit drastischen Austeritätsmaßnahmen: unsoziale Steuererhöhungen, Kürzungen im Staatsbetrieb, in der Arbeitslosenunterstützung, der Rentenversicherung und weiteren Wohlfahrtsprogrammen.
Ökonomisch unsinnig war dieses wirtschaftliche Programm (im Kontrast zur »New Deal«-Politik in den USA) ebenso wie verheerend für die bereits enorm instabile Weimarer Demokratie. So zeigte die empirische Studie »Austerity and the Rise of the Nazi Party« jüngst: In jenen Wahlkreisen, in denen Brünings Austeritätskurs mit größter Vehemenz durchgesetzt wurde, erfuhr die NSDAP ab 1930 besonders hohen Zulauf. Ihr dramatischer Stimmenzuwachs von lediglich 2,6% (1928) auf 18,5% bereits einige Monate nach Beginn der Brüningschen Austeritätspolitik (September 1930), auf schließlich über 35% (ab 1932), wäre ohne diese fehlgeleitete Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise keinesfalls möglich gewesen. Während die Arbeiter:innen sich auch und besonders während der Krise mehrheitlich den linken Parteien anschlossen, konnten Hitler und die NSDAP, die explizit gegen die Austeritätspolitik Wahlkampf und Stimmung machten, besonders in der abstiegsängstlichen Mittelschicht Stimmenzuwächse erzielen. Sie errangen damit genau jene Wählerstimmen, die ihnen für die Regierungskoalition, die Hitler im Januar 1933 die Macht übertrug, noch fehlten.
Der Kampf für ein Ende der Austerität heißt Engagement für demokratische Verhältnisse. Es ist zugleich der konkrete Kampf gegen rechte Kräfte, die die soziale Prekarität als Nährboden für ihre reaktionäre Hetze zu nutzen versuchen. Die Wiedererlangung der sofortigen Möglichkeit für Investitionen und wirkliche öffentliche Teilhabe bedeutet zugleich die materielle Ermöglichung weitergehender Partizipation in Politik und Gesellschaft sowie einen umfassenden kulturellen Wandel. Denn holen wir uns gemeinsam die ökonomischen Handlungsspielräume zurück, die durch die Austeritätspolitik systematisch eingeengt werden, wird ebenso klar: Unsere Lebensumstände sind auch heute noch und mehr denn je kollektiv und zum Wohle aller veränderbar. Im »Kleinen« durch lokale gemeinschaftliche Initiativen, ausfinanzierte Kunst und Kultur und persönlichkeitsschaffende Bildung wie im »Großen« durch die Minimierung der immensen gesellschaftlichen Macht der multinationalen Konzerne, die massive Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten, aber immer noch privatisierten Reichtums sowie die Herausbildung lebendiger demokratischer Normen auf allen Ebenen. Der Bruch mit der Schuldenbremsenideologie bedeutet letztlich den lange überfälligen Bruch mit dem Neoliberalismus, der ökonomisch längst in den letzten Atemzügen liegt – er hält sich fast nur noch durch sein Menschenbild, die jahrelange Entwertung des Politischen sowie seine aggressive Verteidigung von rechts ideologisch am Leben.
Die Überwindung der Austerität eröffnet den Raum für neue demokratische Perspektiven und damit auch die bewusste Neugestaltung der ökonomischen Verhältnisse. Diese (Re-)Politisierung und damit Revitalisierung der Öffentlichkeit ist notwendige Bedingung für die Verwirklichung von Demokratie, Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Sie ist das wirksamste Mittel gegen AfD, Trump und Co.
Die Menschheit steht heute vor einem Scheidepunkt. Welchen Weg sie letztendlich geht, liegt an uns: den sozialen Bewegungen, transnationalen, zivilgesellschaftlichen Bündnissen und allen Engagierten für eine Welt der internationalen Solidarität, des Friedens und der Freiheit. Eine solche Welt ist möglich, die Überwindung der Austeritätspolitik dafür unabdingbar.
Zur Kampagnenwebseite: ▸https://schluss-mit-austeritaet.de/.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/warum-ein-ende-der-schuldenbremse-die-rechten-empfindlich-schwaecht--2322.html | Gedruckt am: 10.11.2024