Vier Argumente gegen die Enteignung von Wohnungen – und warum sie falsch sind

11. April 2019 | Patrick Schreiner

In Berlin findet ein Volksbegehren zur Enteignung großer privater Wohnungskonzerne rege Beteiligung. Dass ein solches Ansinnen auch auf massiven Widerspruch stößt, überrascht nicht. Wie frei von Sachkenntnis die Gegenargumente sind, überrascht hingegen schon.

In Berlin sind, mehr noch als anderswo, die Mieten in den letzten Jahren massiv angestiegen, und sie tun es weiterhin. Wie eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft jüngst gezeigt hat, steigen die Mieten bei den großen Wohnungskonzernen dabei besonders stark. Kein Wunder, dass schon innerhalb der ersten sieben Stunden 15.000 Menschen für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« unterschrieben haben. Benötigt werden im ersten Schritt 20.000 Unterschriften, die Aussichten sind also gut. Ziel der Initiative ist es, alle Wohnungsunternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, gegen Entschädigung zu enteignen.

Es sind vor allem Liberale, Konservative und Rechte sowie die Wirtschaftslobby des Landes, die sich strikt gegen das Volksbegehren und gegen Enteignungen aussprechen. Aber auch bei SPD und Grünen gibt es, neben vereinzelter Zustimmung, zahlreiche kritische Stimmen. Es lohnt sich, die vier häufigsten Gegenargumente unter die Lupe zu nehmen – dann zeigt sich: Überzeugen können sie nicht.

1. Die vielen Milliarden, die in Entschädigungen fließen würden, kann sich das hochverschuldete Berlin gar nicht leisten.

So äußerten sich etwa der Berliner CDU-Politiker Jan-Marco Luczak, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), der Bund der Steuerzahler sowie Michael Kröger von Spiegel Online.

Das Argument ist falsch, weil es verkennt, dass die Entschädigungszahlungen kreditfinanzierten Investitionen gleichkommen. Wenn das Land Berlin Wohnungen gegen Entschädigungszahlungen enteignet, die es überwiegend über Kredite finanzieren muss und wird, dann erhält es für dieses Geld Vermögenswerte, eben die Wohnungen. Und die wiederum bringen Ertrag, nämlich Mieten. Solche Entschädigungszahlungen sind daher vergleichbar mit Investitionen – also mit dem (kreditfinanzierten) Bau einer Straße oder einer Schule durch die öffentliche Hand, dem (kreditfinanzierten) Kauf einer Maschine durch ein Unternehmen oder dem (kreditfinanzierten) Kauf eines Eigenheims durch eine Familie. Nur wenn der Wert der Wohnungen deutlich unter den Entschädigungszahlungen liegt, könnte das Land ein Problem bekommen. Wie hoch die Zahlungen am Ende aber sein würden, ist eine offene Frage, die auch politisch zu entscheiden wäre. Die Initiative fordert, dass sie unter dem Marktwert liegen, und sie bringt dafür gute Argumente vor. Auch die Senatsverwaltung Berlins verweist auf Möglichkeiten, die Entschädigungszahlungen unter dem Marktwert zu halten.

Hinzu kommt aber noch ein Weiteres: Das Land wird sich die Entschädigungszahlungen zurückholen – von seinen Mieterinnen und Mietern. Das gilt auch für die Zinsen, die Berlin für die aufzunehmenden Kredite bezahlen muss. Da das Ziel des Volksbegehrens allerdings – zu Recht – niedrigere Mieten sind, sind die entsprechenden Möglichkeiten der Umlage auf die Mieten nicht unbegrenzt. Dennoch sind damit die tatsächlichen Kosten, die für Berlin anfallen, mittel- und langfristig weitaus geringer als die Summen, die es für Entschädigungen bezahlt. Bezahlen muss das Land Berlin letztlich nur die Differenz zwischen der Miethöhe, die bei vollständiger Kostendeckung (Entschädigungen, Kreditzinsen, Verwaltung) anfiele, und der Miethöhe, die es politisch und sozial für sinnvoll erachtet.

Was aber, wenn diese Differenz zu groß ist und damit die Kosten deutlich über den Mieteinnahmen liegen? Diese Frage ist irrelevant, denn egal wie groß die Differenz ausfällt – sie wird immer kleiner sein als die Differenz zwischen den Mieten privater Großkonzerne und den politisch sowie sozial für sinnvoll erachteten Mieten. Schließlich lassen Konzerne ihre Mieten schneller steigen als öffentliche Wohnungsunternehmen, um damit höhere Renditen einzufahren. Diese steigenden Mieten inklusive der höheren Renditen der Privaten bezahlt am Ende aber in vielen (und immer mehr) Fällen die öffentliche Hand – im Rahmen der Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) sowie beim Wohngeld. Das ist der Grund dafür, dass selbst Wirtschaftslobby, Liberale und Konservative nichts gegen ein steigendes Wohngeld einzuwenden haben: Es finanziert die Renditen der Privaten. Was aber nicht im öffentlichen Interesse sein kann. Selbst wenn das Land Berlin also die Mieten der enteigneten Wohnungen in Teilen subventionieren muss, ist daher die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich dies über die Jahre mehr rechnet, als horrend ansteigende Mieten der Privaten mittels KdU und Wohngeld zu subventionieren. Für Berlin, wo überdurchschnittlich viele Menschen mit geringem Einkommen und/oder ohne Erwerbsarbeit leben, gilt dies in besonderer Weise.

2. Die Schuldenbremse im Grundgesetz macht Enteignungen unmöglich, weil die Kosten zu hoch wären und zusätzliche Schulden nicht erlaubt sind.

So äußerte sich etwa der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, erneut der Bund der Steuerzahler sowie der Pressesprecher des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen, Marko Rosteck.

Das Argument ist falsch, weil es ein Zerrbild der »Schuldenbremse« zeichnet. Deren Vorgaben stehen der Enteignung von Wohnungen nämlich keineswegs entgegen. Das Land Berlin würde die enteigneten Wohnungen und die Kredite zu ihrer Finanzierung schließlich in ein eigenes öffentliches Wohnungsunternehmen auslagern. Dessen Kredite aber wären für die »Schuldenbremse« nicht relevant, sie werden nicht auf die Verschuldung des Landes Berlin angerechnet. Zu Recht argumentiert die Berliner Senatsverwaltung, dass die Enteignung von Wohnungen mit dem Erwerb von Beteiligungen vergleichbar sei.

Lediglich das Eigenkapital für das öffentliche Wohnungsunternehmen müsste Berlin aufbringen. Und selbst hier könnte geprüft werden, ob die Wohnungen nicht in ein schon bestehendes öffentliches Wohnungsunternehmen eingebracht werden könnten, wodurch sich das benötigte Eigenkapital möglicherweise reduzieren lässt. (Das Volksbegehren hat diesbezüglich allerdings andere Vorstellungen, es verlangt die Gründung eines neuen Unternehmens.)

3. Das Geld für die Entschädigungszahlungen sollte besser in den Neubau von Wohnungen fließen.

So äußerten sich etwa FDP-Generalsekretärin Nicola Beer, SPD-Chefin Andrea Nahles sowie erneut der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Auch Robert Habeck von den Grünen, der Enteignungen nicht grundsätzlich ausschließen möchte, formulierte, es sei zu prüfen, ob Entschädigungs-Gelder nicht mit größerem Effekt anders verwendet werden könnten.

Dieses Argument ist falsch, weil es außer Acht lässt, dass Entschädigungszahlungen mit kreditfinanzierten Investitionen gleichzusetzen sind. Da – wie oben beschrieben – der Kreditaufnahme zur Enteignung von Wohnungen der Wert und der Ertrag der Wohnungen gegenübersteht und da Kredite wie auch Wohnungen in ein öffentliches Wohnungsunternehmen ausgelagert werden können, gibt es keinen Zielkonflikt zwischen Enteignung und Neubau. Das Land Berlin (genauer: seine öffentlichen Wohnungsunternehmen) kann unbegrenzt Wohnungen kreditfinanziert kaufen und kreditfinanziert bauen.

4. Enteignungen schaffen keinen neuen Wohnraum.

So äußerten sich etwa erneut die SPD-Chefin Andrea Nahles, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), Lukas Büdenbender von den Jungen Unternehmern, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, sowie Nikolaus Pieper von der Süddeutschen Zeitung.

Das Argument verfehlt das Thema. Natürlich schaffen Enteignungen keinen Wohnraum. Darum geht es auch gar nicht. Das Volksbegehren hat vielmehr das Anliegen, die horrend steigenden, renditegetriebenen Mieten der großen privaten Wohnungskonzerne auszubremsen. Wenn das gelänge, wäre schon viel erreicht. Noch mehr wäre erreicht, wenn es dank der Enteignungen vielleicht sogar gelänge, mittels eines breiteren Angebots öffentlicher und genossenschaftlicher, also bezahlbarer Wohnungen Druck auf den gesamten Mietwohnungsmarkt auszuüben.

Dass es daneben mehr Neubau braucht, ist richtig. Neubau ist aber weder Thema des Volksbegehrens noch alleine Lösung für den renditegetriebenen Anstieg der Mieten. Oder wie es Ulrich Schneider formulierte, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands:

Der möglichen Vergesellschaftung großer, mietpreistreibender Wohnkonzerne entgegenzuhalten, dies schaffe noch keine neuen Wohnungen, ist in etwa wie die Feststellung, dass das Aufspannen eines Regenschirms bei Regen noch keinen Sonnenschein bewirkt.

Was für das Volksbegehren spricht…

Das Volksbegehren wird von zahlreichen Initiativen und Verbänden in Berlin und Deutschland unterstützt. Es findet europaweites Interesse, denn das Problem der explodierenden Mieten ist nicht auf Berlin und nicht auf Deutschland beschränkt.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« selbst schreibt (unter anderem) auf ihrer Homepage, sie fordere die Enteignungen, weil

- Wohnen ein Grundbedürfnis darstellt und in jeder Hinsicht für das Menschsein unverzichtbar ist. Eine Bedrohung der Wohnung ist eine Bedrohung der Menschenwürde, eine Bedrohung gegen jede Form der menschlichen Entwicklung, der Teilhabe, der Familie, eine Bedrohung gegen das Leben selbst. Hierzu sind in der Geschichte reichlich Beispiele zu finden. Nur ein Leben ohne andauernde Existenzangst kann menschenwürdig sein.

- Deutsche Wohnen & Co eine Strategie der Mietpreissteigerung um jeden Preis verfolgen. Da sie hohe Kredite für den Ankauf ihres Bestandes aufgenommen haben und ihren Aktionären hohe Gewinne versprechen, sind sie dazu »gezwungen«, die Mieten immer weiter hochzutreiben. Sie werden durch Appelle an das soziale Gewissen damit nicht aufhören, da das Ausquetschen der Mieterschaft elementarer Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie ist. […]

- Die Auswüchse gegen Mieter in ihrer Gesamtheit keine tragischen Einzelfälle darstellen, sondern vielmehr Ausdruck eines strukturellen Problems einer rein profitorientierten Wohnraumbewirtschaftung sind. Dabei nehmen die führenden Immobilienunternehmen aufgrund ihrer Größe eine marktbeherrschende Sonderstellung ein. Sie sind einerseits aufgrund ihrer Größe in der Lage, die Entwicklung der Mieten und auch der Mietgesetzgebung zu beeinflussen (siehe Angriffe auf den Mietspiegel) und sind andererseits aufgrund ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung im Besonderen für Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt verantwortlich.

Sie führt unter anderem Artikel 28 der Berliner Landesverfassung an, der einen klaren Handlungsauftrag enthält:

Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen…

Auch der ver.di-Fachbereich »Besondere Dienstleistungen« in Berlin-Brandenburg unterstützt das Volksbegehren. In einer Pressemeldung machte die Gewerkschaft Anfang April auf ein weiteres Argument für die Enteignung großer Wohnungskonzerne aufmerksam:

Keins der großen Immobilienunternehmen ist tarifgebunden, Mitbestimmung oft ein Fremdwort. Mit einer Rekommunalisierung in eine Anstalt des öffentlichen Rechts gehen wir selbstverständlich davon aus, dass dann für die Beschäftigten der Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft sowie die Mitbestimmung nach Personalvertretungsgesetz umgesetzt werden, wie es sich für einen Landesbetrieb gehört.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/vier-argumente-gegen-die-enteignung-von-wohnungen-und-warum-sie-falsch-sind--2302.html   |   Gedruckt am: 28.03.2024