Sommerhoch am Arbeitsmarkt dank fragwürdigem Teilzeitboom

13. September 2018 | Markus Krüsemann

Nicht nur die Temperaturen haben in diesem Sommer Rekordwerte erreicht. Auch die Beschäftigung eilte von Allzeithoch zu Allzeithoch. Zuletzt (Juli 2018) hat das Statistische Bundesamt 44,75 Millionen Erwerbstätige (saisonbereinigter Wert) ausgewiesen, das waren so viel wie nie seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Trotz leicht nachlassender Dynamik gibt es bisher auch keine Anzeichen für ein Ende des Erwerbstätigenwachstums. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner letzten Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage verkündete, bleibe der Arbeitsmarkt in sehr guter Verfassung. Auch wenn sich seine Dynamik im Vergleich zum starken Vorjahr abgeschwächt habe, gingen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung weiter zurück.

Nun ist die Zahl der Erwerbstätigen nicht von besonders großem Informationswert, denn als erwerbstätig gilt nach dem auch vom Statistischen Bundesamt verwendeten Erwerbstatuskonzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) jede Person ab einem Alter von 15 Jahren, die wenigstens eine Stunde für Lohn oder sonstiges Entgelt in einem Arbeitsverhältnis steht, selbstständig ein Gewerbe oder eine Landwirtschaft betreibt oder einen freien Beruf ausübt. Aufschlussreicher sind Angaben zur abhängigen Beschäftigung. Zur Jahresmitte waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) hochgerechnet 23,62 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig in Vollzeit, 9,25 Millionen in Teilzeit und 4,74 ausschließlich geringfügig beschäftigt. Auch dies in Summe ein Allzeithoch.

Der Jobboom ist immer noch weitgehend ein Teilzeitboom

Betrachtet man anhand der vom IAB in der Arbeitszeitrechnung zur Verfügung gestellten Daten die langfristige Entwicklung am Arbeitsmarkt, so lässt sich zunächst feststellen, dass die Zahl der abhängig Beschäftigten in den letzten zehn Jahren nahezu stetig gestiegen ist. Im Durchschnitt des Jahres 2017 waren es knapp 40 Millionen, im zweiten Quartal 2018 dann schon über 40,5 Millionen. Was die Zahlen aber auch deutlich zeigen: Die Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verdankt sich bis heute im Wesentlichen dem enormen Boom von Teilzeitjobs.

Zwar steigt seit einigen Jahren auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen wieder stetig an, was im zweiten Quartal 2018 immerhin zu einer kleinen Sensation führte: Erstmals seit Jahren lag die Wachstumsrate bei den Vollzeitjobs mit 1,8 Prozent (gegenüber dem Vorjahresquartal) über der Rate der Teilzeitjobs (+1,5 %). Die Teilzeitquote blieb mit einem hauchdünnen Minus von 0,1 Prozent davon aber (noch?) weitgehend unbeeindruckt. Weitaus dynamischer aber hat sich die Teilzeitarbeit entwickelt. Während die Zahl der ArbeitnehmerInnen mit Vollzeitjob zwischen 2007 und 2017 um 4,8 Prozent zulegte, stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten im gleichen Zeitraum um enorme 24,4 Prozent, und zwar von 12,6 auf 15,5 Millionen. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten erhöhte sich damit von 35,1 auf 39,2 Prozent.

Auf den ersten Blick könnte man die in der um sich greifenden Teilzeitarbeit zum Ausdruck kommende Reduzierung der Arbeitszeiten als gesellschaftlichen Fortschritt begrüßen. Schließlich kann dank des technischen und organisatorischen Fortschritts ein üppiger Wohlstand heute mit weniger Arbeit erwirtschaftet werden als noch vor zwanzig Jahren etwa. Auch auf den zweiten Blick macht Arbeit zu reduzierter Stundenzahl gesamtgesellschaftlich Sinn, geht es doch schon lange darum, die verfügbare (abstrakter gesprochen, auch die gesellschaftlich notwendige) Arbeit gerechter zu verteilen. Denn während die einen über zu viel Arbeit klagen würden viele andere gerne mehr arbeiten oder überhaupt erst einmal in Arbeit gelangen. Das Statistische Bundesamt bezifferte jüngst das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial im Jahr 2017 auf 5,1 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren. Darin enthalten sind 1,6 Millionen Erwerbslose und 1,0 Millionen Personen in Stiller Reserve. Hinzu kommen 2,4 Mio. Unterbeschäftigte, Personen also, die bereits erwerbstätig sind, die aber lieber länger arbeiten möchten. Auch dies übrigens ein Zeichen für den tief gespaltenen Arbeitsmarkt.

Ist Arbeit zu reduzierter Stundenzahl also die Lösung? Dagegen spricht, dass der Teilzeitboom auf Grund einer schlechteren und oft unzureichenden materiellen Absicherung keinesfalls als Resultat einer durchgängig freien Wahl der so Beschäftigten angesehen werden kann. Je nach Haushalts- und Einkommenssituation haben sich Erwerbstätige einerseits zwar ganz bewusst für einen Teilzeitjob entschieden. Auf der anderen Seite aber ist die Zahl derjenigen groß, die gegen ihren Willen in der Teilzeit feststecken.

Auf Basis der Arbeitskräfteerhebung kommt das Statistische Bundesamt in einer Publikation zur Qualität der Arbeit (Kap. 3.5) zu dem Ergebnis, dass 2016 11,2 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten unfreiwillig zu reduzierter Stundenzahl arbeiteten. Das ist aber nur der Anteil jener, die keine Vollzeitstelle fanden. Hinzu kommen 23,2 Prozent der Teilzeitkräfte, die aufgrund der Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen und 15,9 Prozent der Teilzeitkräfte, die wegen sonstiger familiärer Verpflichtungen kürzer treten. Unklar bleibt allerdings, wieviele dies aus freien Stücken tun und wie groß der Anteil derjenigen ist, die durch Sachzwänge (etwa: fehlende Betreuungsangebote) dazu gezwungen werden.

Steigende Frauenerwerbstätigkeit als Treiber der Entwicklung

Von den von der BA für Ende 2017 ausgewiesenen 9,3 Millionen sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten waren knapp zwei Millionen bzw. 21,4 Prozent Männer und 7,3 Millionen bzw. 78,6 Prozent Frauen. Bei den zum gleichen Zeitpunkt 4,7 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigten ist das Bild ähnlich. 1,8 Millionen männlichen Minijobbern (38 %) stehen 2,9 Millionen weibliche Minijobber (62 %) gegenüber. Zieht man alle Formen der abhängigen Erwerbstätigkeit zusammen, so zeigt sich, dass im Jahr 2016 über 82 Prozent der Männer einer Beschäftigung im Umfang von 37 oder mehr Wochenstunden nachgingen, dies aber nur auf knapp 46 Prozent der Frauen zutraf. Damit ist klar, Teilzeitbeschäftigung, vor allem auch noch die »Kleine Teilzeit« unter 20 Wochenstunden, ist ganz überwiegend Frauensache.

Mehr noch: der Boom bei der Teilzeitarbeit verdankt sich fast ausschließlich der Tatsache, dass immer mehr Frauen erwerbstätig sind. So ist die Erwerbsquote von Frauen zwischen 15 und 65 Jahren zwischen 2006 und 2016 von 68,4 auf 73,4 Prozent gestiegen, jedoch: »Die Zunahme der Frauenbeschäftigung in den letzten zehn Jahren basiert fast allein auf mehr Teilzeitbeschäftigung; die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen hat sich hingegen faktisch nicht verändert«, stellt die Bundesagentur für Arbeit (BA) dazu in einem kürzlich veröffentlichten Bericht zur Arbeitsmarktsituation von Frauen und Männern im Jahr 2017 fest.

Die stark angestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen in Westdeutschland wird zurecht als großer Erfolg angesehen. Der aber hat seinen Preis: Neben dem Gender Pay Gap (Frauen verdienen selbst bei vergleichbarer Qualifikation auf vergleichbaren Positionen weniger als Männer) und mit ihm verbunden wiegt die Tatsache schwer, dass Frauen sich auf dem Arbeitsmarkt immer noch oft unfreiwillig mit Teilzeit- und Minijobs begnügen müssen. Das ist vor allem für Alleinerziehende ein (finanzielles) Problem, aber es betrifft auch Frauen, die bereits in Vollzeit tätig waren, nach einer Auszeit den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt aber nur in Form der Teilzeitarbeit schaffen. Die Soziologin Jutta Allmendinger spricht davon, dass nur zehn Prozent der Mütter nach dem ersten Jahr wieder in Vollzeit tätig sind. Die auf Frauen beschränkte Festschreibung der Arbeitszeiten durch das erste Kind hemme die berufliche Entwicklung maßgeblich, sagt sie. Sobald Mütter aber längerfristig auf der Teilzeitstelle hängen bleiben, erwachse daraus eine »dauerhafte Verantwortung der Frau für Haushalt und Familie«. Kein Wunder also, dass viele erwerbstätige Mütter dann doch in der Teilzeitfalle stecken bleiben.

Mit der Brückenteilzeit gegen die Prekarität weiblicher Erwerbslagen?

Die Nationale Armutskonferenz hat die prekäre Beschäftigung nicht von ungefähr als » die 'Branche' der Frauen « bezeichnet. Deren defizitäre Teilhabe am Arbeitsmarkt, die durch hohe Zugangshürden zu durchgängig existenzsichernder Arbeit (vom Aufstieg in Führungspositionen ganz zu schweigen) und den überdurchschnittlich häufigen Rückgriff auf prekäre Jobs bei gleichzeitiger traditionsbehafteter Zuschreibung der Care-Arbeit geprägt ist, war bislang viel zu selten ein Thema auf der arbeitsmarktpolitischen Agenda regierender Koalitionen. In dieser Situation lässt der von der Großen Koalition für Anfang 2019 geplante Rechtsanspruch auf Brückenteilzeit aufhorchen. Die erwartbare Zustimmung des Bundestags vorausgesetzt werden Beschäftigte ab Januar 2019 ein Anrecht auf eine befristete Teilzeitphase (mit anschließender Rückkehr auf die Vollzeitstelle) erhalten, die zwischen einem und fünf Jahren dauern kann. Ist das jetzt der große Wurf, um vor allem weibliche Beschäftigte davor zu schützen, nach einer temporären Arbeitszeitreduktion etwa wegen der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen in der Teilzeitfalle zu landen?

Wie so häufig, wenn es darum geht, arbeitnehmerfreundliche Regulierungsansätze zu Gunsten der Unternehmer zu verwässern, ist auch die Brückenteilzeit im koalitionären Aushandlungsprozess nicht ungeschoren davon gekommen: Betriebe mit bis zu 45 MitarbeiterInnen werden von der Regelung ausgenommen. Ursprünglich sollte die Grenze bei 15 Beschäftigten gezogen werden. Dank der beträchtlichen Anhebung des Schwellenwertes erhöht sich die Zahl der ArbeitnehmerInnen, die erst gar nicht in den Genuss der neuen Regelung kommen, erheblich auf etwa 15 Millionen.

Gerade für Mütter mit Teilzeitjob ist das eine schlechte Nachricht, und das sind nicht wenige. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion kürzlich mitteilte, gab es 2016 mehr als 5,1 Millionen teilzeitbeschäftigte Mütter in Deutschland. Von ihnen sind 3,1 Millionen in einem Betrieb mit weniger als 50 MitarbeiterInnen tätig. Das kommende Rückkehrrecht von einem Teilzeit- in einen Vollzeitjob bleibt somit für über 60 Prozent aller erwerbstätigen Mütter wirkungslos.

Doch selbst für die verbleibenden 40 Prozent ist Brückenteilzeit nicht unproblematisch. Das Gesetz regelt nämlich nur, dass man (unter den genannten Bedingungen) ein Recht auf vorübergehende Teilzeit beim jeweiligen Arbeitgeber hat - nicht aber, dass man dabei bzw. im Anschluss daran seinen Arbeitsplatz behalten darf. Das Rückkehrrecht bezieht sich also nur auf den Arbeitgeber und nicht auf den konkreten Arbeitsplatz - ähnlich wie bei der Rückkehr nach der Elternzeit. Dadurch bleibt Teilzeit nach wie vor ein Karriererisiko vor allem für Frauen. Denn sie laufen Gefahr, beim gleichen Arbeitgeber eine andere (wenn auch gleichwertige) Tätigkeit zugewiesen zu bekommen. Etwaige Weiterbildungen, Kompetenzen und Kontakte drohen dann entwertet zu werden.

So werden auch in Zukunft viele Frauen in der Teilzeitfalle stecken bleiben. Dabei sind es vor allem weibliche Teilzeitbeschäftigte, die der Regierungsantwort zufolge ihre Wochenarbeitszeit gerne aufstocken würden. Solange sich hier nichts grundlegend ändert, wird sich der Teilzeitboom weiter fortsetzen und auf ein neues Winterhoch zusteuern.

Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/sommerhoch-am-arbeitsmarkt-dank-fragwuerdigem-teilzeitboom--2248.html   |   Gedruckt am: 27.04.2024