26. März 2018 | Markus Krüsemann
Das Verhältnis des Bürgers zur Kunst ist ein zwiespältiges. Man schätzt und genießt sie als Musik, gibt sich gerne als Kenner der Malerei und der bildenden Künste, profiliert sich mit einer regalmeterbreiten Sammlung an Weltliteratur, lässt sich in Theaterfoyers und bei Musikveranstaltungen blicken, oder klatscht begeistert mit im politischen Kabarett. Das alles dient so sehr dem persönlichen Genuss wie es der sozialen Distinktion zuträglich ist. Sobald aber ein Familienmitglied, speziell ein direkter Nachkomme, zu erkennen gibt, er oder sie wolle in der Kunst gleich welchen Genres reüssieren, ist das Erschrecken meist groß. Auf einmal ist von Kunst nur als brotloser die Rede. Eine Entscheidung für sie wird - das Gemälde »Der arme Poet« von Carl Spitzweg vor Augen - dann gerne als Unvernunft oder Schwärmerei bezeichnet, die in die existenzielle Sackgasse, in den materiellen und persönlichen Ruin führe. Aus Sicht fleißiger Ameisen ist Kunst eben nur etwas für Grillen.
Wie so oft scheint die bürgerliche Vernunft bei all ihrer Beschränktheit auf das Zweckrationale, auf das, was sich rechnet, hier durchaus erfahrungsgesättigt zu sein. »Künstlereinkommen liegen oft deutlich unter Mindestlohn«, titelte RP online Anfang Dezember und verwies auf Zahlen, die die Künstlersozialkasse über die Verdienstsituation ihrer Mitglieder veröffentlicht hatte. Danach verdiene ein Maler im Durchschnitt weniger als 12.000 Euro, ein Opernsänger nur 11.200 im Jahr. SchriftstellerInnen sind ebenfalls nicht auf Rosen gebettet. Welt online zitiert dazu die Autorin Nina George, Bundesvorstandsmitglied des Verbands deutscher SchriftstellerInnen und Schriftsteller: »Mit einem Debütroman, der sich vielleicht 3000 Mal verkauft, bringt es ein Autor auf einen Stundenlohn von 42 Cent«, sagt sie.
Die Künstlersozialkasse, sie koordiniert und subventioniert den Schutz von selbstständigen Künstlern und Publizisten in der Künstlersozialversicherung, macht für ihre knapp 185.000 Mitglieder nach Berufsgruppen differenzierte Angaben. So lag das durchschnittliche Jahreseinkommen von Musikern zuletzt bei 13.675 Euro, in der bildenden und darstellenden Kunst waren es etwas mehr als 16.000 Euro, in der Berufsgruppe »Wort« gut 20.000 Euro, wobei die Durchschnittseinkommen der Berufsanfänger noch einmal je nach Bereich zwischen 2.000 und über 5.000 Euro niedriger liegen.
In der Künstlersozialversicherung Versicherte und ihre durchschnittlichen Jahreseinkommen (in Euro) nach Sparten (Stand: 01.01.2017). Quelle: Künstlersozialkasse.de: KSK in Zahlen
In Sachen Aussagekraft kommt man mit Durchschnittswerten meist nicht weit, wie seit dem Fall einer Kuh bekannt ist, die in einem Teich ertrank, obwohl der im Durchschnitt nur ein Meter tief war. Ähnlich verhält es sich mit den Durchschnittseinkommen von Kreativen. Wie in anderen Branchen auch, so weichen die Einkommen im Kunst- und Kulturbetrieb erheblich voneinander ab. Berühmten und erfolgreichen KünstlerInnen und Kulturschaffenden, die mit ihrer Arbeit und ihren Werken Millionen verdienen, steht eine große Zahl an Mitstreitern gegenüber, die mal ganz gut, mal einigermaßen, oft aber auch mehr schlecht als recht von ihrer Kunst leben kann. Nicht wenige von ihnen müssen ihre künstlerische Tätigkeit sogar durch einen Brotberuf finanzieren.
Neben oder in Verbindung mit der meist schlechten Verdienstlage kommt die beruflich prekäre Situation von Kunstschaffenden auch in unsicheren Beschäftigungsperspektiven und anderen schwierigen Arbeitsbedingungen zum Ausdruck, wie eine 2016 durchgeführte explorative Studie ergab. Auf Basis einer Online-Umfrage unter 2.635 Erwerbstätigen aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst, die von 22 leitfadengestützte Experteninterviews flankiert wurde, konnte der Verfasser der Studie, der Künstler und ehemalige Politikberater Maximilian Norz, problematische Arbeitsbedingungen in vier Bereichen identifizieren. Neben der bereits angesprochenen schwierigen finanziellen Lage bereitete den KünstlerInnen die geringe Planbarkeit und die Unsicherheit des Berufslebens Probleme. Hier machte den Befragten vor allem die Unvereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit zu schaffen.
Unzufriedenheit herrscht offensichtlich auch über das Arbeitsumfeld. Im Einzelnen wurden schlechte Proben-, Unterkunfts- und Aufführungsbedingungen sowie das Nichteinhalten arbeitsrechtlicher Gesetze und Schutzvorschriften moniert. Auch um den zwischenmenschlichen Umgang mit und unter Kunstschaffenden ist es nicht immer gut bestellt. Der Konfliktbogen spannte sich hier von der Nichteinhaltung vertraglicher Regelungen, über Vorwürfe des Machtmissbrauchs durch Vorgesetzte, Respektlosigkeiten und Mobbing im Kollegenkreis bis hin zu Erfahrungen sexueller Belästigung.
Von den Problemen, die sich über alle Sparten ähnelten, sind nicht alle Kreativen gleichermaßen betroffen. Es sind vor allem die nur zeitweise angestellten KünstlerInnen, die sich in einer prekären Erwerbslage befinden. Selbstständig arbeitende KünstlerInnen berichteten insgesamt etwas seltener von den verschiedenen Missständen. Die im Vergleich besten Arbeitsbedingungen herrschen in der Gruppe der fest Angestellten. Vor allem sind sie weniger stark von einer unsicheren Beschäftigungssituation betroffen und auch ihre finanzielle Lage ist erkennbar besser.
Während sich die große Mehrzahl der Künstler und Kreativen unter oft schwierigen Arbeitsbedingungen müht, finanziell über die Runden zu kommen, erfreut sich die Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft wirtschaftlich meist guter bis blendender Perspektiven. Wie dem kürzlich veröffentlichten Monitoringbericht Kultur-und Kreativwirtschaft 2017 zu entnehmen ist, sind Umsatz und Beschäftigung im Jahr 2016 über alle elf Teilmärkte hinweg erneut gestiegen. Ein Großteil der damit verbundenen Wertschöpfung entfällt allerdings auf die Software- und Gamesindustrie, den Presse- und Werbemarkt sowie die Designindustrie. Doch auch in den Bereichen Musikwirtschaft, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft und Markt für darstellende Künste lassen sich ordentliche Gewinne einfahren.
Durchschnittliche jährliche Veränderung von Umsatz, Unternehmens- und Erwerbs-tätigenzahl in Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft, 2011-2016 (in Prozent). Quelle: BMWi 2017
Wie obige Grafik zeigt, konnten die Musik- und die Rundfunkwirtschaft ihre Umsätze in den vergangenen fünf Jahren (2011-2016) deutlich steigern. Auch der Markt für darstellende Künste hat sich überdurchschnittlich positiv entwickelt. Für den Kunstmarkt (selbstständige bildende KünstlerInnen, Einzelhandel mit Kunstgegenständen oder Antiquitäten, Museumsshops) lief es dagegen schlecht. Mit 1,3 Milliarden Euro erreichte er im Jahr 2016 den geringsten Wertschöpfungswert in der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft. Der Buchmarkt befindet sich ebenfalls in einer wirtschaftlich schwierigen Lage.
Für die Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden und Kreativen ist die ökonomische Prosperität ihrer Branche aber kaum ausschlaggebend, zu sehr ähneln sich die Kritiken über alle Bereiche hinweg. Mit unzureichender Vergütung, fehlender Planungssicherheit oder Forderungen, kostenlos zu proben oder aufzutreten, werden Musiker und Tänzer ebenso wie Schauspieler und Autoren in der ein oder anderen Form immer wieder konfrontiert. Meist wird dies als branchentypisch hingenommen, und man versucht, sich zu arrangieren und das Beste draus zu machen. Für den Schriftsteller Bernd Cailloux etwa stellt sich die Sache so dar: »Wenn man in die Kunst reingeht, muss man mit der Askese rechnen, nicht mit Geld.«
Doch viele KünstlerInnen wollen sich mittlerweile nicht mehr damit abfinden. Sie engagieren sich in der Bewegung art but fair, die sich zum Ziel gesetzt hat, faire Arbeitsbedingungen sowie angemessene Gagen in den Darstellenden Künsten und der Musik zu erreichen. Neben dem Bestreben, Politik und Öffentlichkeit auf Missstände im Arbeitsfeld Kunst und Kultur hinzuweisen, hat die Initiative die »art but fair-Selbstverpflichtung« für Kunstschaffende, aber auch für Theaterleitende und Produzierende sowie Verantwortliche in Kulturpolitik, Verwaltung und Verbänden, Schulen, Hochschulen und Akademien entwickelt. Ziel ist es, auf diese Weise Prinzipien der fairen Entlohnung, der menschenwürdigen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen und des allgemein respektvollen Umgangs untereinander durchzusetzen. Sicherlich ein erster wichtiger Schritt hin zu einer handlungsfähigen kollektiven Interessenvertretung.
Der Artikel erschien zuerst auf ▸miese-jobs.de .
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/kreatives-prekariat-die-arbeitsbedingungen-von-kuenstlerinnen-und-kuenstlern--2180.html | Gedruckt am: 14.12.2024