Tricks und Druck – das ÖPP-Projekt auf der A7 Göttingen-Salzgitter

11. Januar 2018 | Kai Eicker-Wolf, Patrick Schreiner

Zuständig für Bau und Erhalt der Autobahnen sind in Deutschland derzeit noch die Länder, die im Auftrag des Bundes tätig werden. Damit ist auch die Umsetzung von ÖPP auf Autobahnen Ländersache – zumindest, solange es keine Bundesfernstraßengesellschaft gibt. Bis Anfang 2013 traf die Bundesregierung auf eine ÖPP-freundliche schwarz-gelbe Landesregierung in Niedersachsen. Gemeinsam arbeitete man eines der von Tiefensee angekündigten Projekte aus: Eine private Firma sollte die A7 zwischen Göttingen und Salzgitter 30 Jahre lang betreiben und ein Teilstück dieser Strecke erneuern sowie auf sechs Spuren erweitern.

Mit dem Widerstand, der sich ab dem Winter 2011/2012 in der Region entfaltete, hatte man vermutlich weder in Hannover noch in Berlin gerechnet. Beschäftigten, Personalvertretungen, Gewerkschaften und PolitikerInnen (wie etwa dem südniedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten und Baugewerkschafter Ronald Schminke) gelang es über Jahre, Sand ins ÖPP-Getriebe zu streuen. Dabei hatten sie gute Argumente auf ihrer Seite. Schon früh war klar, dass dieses Projekt nicht nur Arbeitsplätze in der Straßenbauverwaltung und bei lokalen Bauunternehmen gefährden, sondern auch zu enormen Kostensteigerungen führen würde.

In einem Gutachten für das Landesverkehrsministerium unter Jörg Bode (FDP) ließ der Bundesrechnungshof im Januar 2012 kein gutes Haar an den ÖPP-Plänen von Bundes- und Landesregierung: Der Ausbau auf sechs Spuren hätte mit konventionellem Bau schon längst erfolgen können, ein Start des ÖPP-Projektes sei hingegen frühestens Ende 2016 möglich. Was nicht nur für AutofahrerInnen ärgerlich ist, sondern auch für SteuerzahlerInnen teuer. »Die Ausbauabschnitte sind bis dahin nur mit massiven Erhaltungsaufwendungen in einem verkehrssicheren Zustand zu halten. […] Würde die Straßenbauverwaltung Niedersachsen die verbliebenen vier Bauabschnitte nach konventioneller Vorgehensweise ausbauen, könnte der Bund Erhaltungsausgaben von bis zu 45 Millionen Euro einsparen.« Die Wirtschaftlichkeit eines ÖPP-Projekts auf dieser Strecke sei alleine schon aufgrund dieser Verzögerungen zu bezweifeln.

Landesminister Bode focht dies ebenso wenig an wie das Bundesministerium, dessen Leitung zwischenzeitlich Peter Ramsauer (CSU) übernommen hatte. Im März 2012 verwies Bode auf eine noch anzufertigende vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, die – wie bei jedem ÖPP-Projekt – Grundlage für eine Entscheidung über ÖPP sein werde. Einen weitgehend fertigen Entwurf der Untersuchung gab es dann seit August 2012. Die finale Fassung lag seit November 2012 vor. Erstellt wurde sie in monatelanger Detailarbeit von einer Arbeitsgruppe, an der neben Vertretern des Bundesverkehrsministeriums und der niedersächsischen Straßenbauverwaltung auch externe MitarbeiterInnen aus einschlägigen Unternehmensberatungen beteiligt waren.

Solche Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen erweisen sich regelmäßig als hochgradig anfällig für Einflussnahme und Manipulation – unter anderem, weil die Ergebnisse geheim und daher nicht kontrollierbar sind. Auch im Falle der A7 Göttingen-Salzgitter gab und gibt es Grund zumindest für große Skepsis. Schon ein Blick in eine Entwurfs-Präsentation, die den Mitgliedern der Arbeitsgruppe im August 2012 vorgelegt wurde, legt den Verdacht nahe: Es muss einen enormen politischen Willen gegeben haben, ÖPP durchzusetzen. »Lösungen ohne Umwege« haben die Berater das Dokument überschrieben. Schon das klingt doppeldeutig. Und tatsächlich ist hinter mehrere Zahlen und Annahmen, die dort aufgeführt sind, ein dickes Fragezeichen zu setzen. Der Eindruck, dass hier strategisch im Sinne eines aus ÖPP-Sicht positiven Ergebnisses gehandelt und gerechnet wurde, drängt sich geradezu auf.

Bei all dem hat man offenbar zwei Absichten verfolgt: Zum einen lässt die gewählte Berechnungsweise die ÖPP-Variante günstiger erscheinen als die konventionelle. So konnte man am Ende ÖPP als barwertig etwa 29 Millionen Euro günstiger ausweisen. Zum anderen lässt sie die Gesamtkosten für beide Varianten so hoch wie möglich erscheinen. Denn die Ausschreibung des Vorhabens als ÖPP-Projekt erfolgt auf Basis der errechneten ÖPP-Kosten. Wenn diese hoch ausfallen, fällt es ÖPP-Bewerbern leichter, mit ihrem Angebot und ihren tatsächlichen Kosten unter den errechneten Kosten zu bleiben. Was dann ÖPP-BefürworterInnen wieder als Argument dafür anführen, dass ÖPP günstiger ausfalle als eine konventionelle Beschaffung.

Der Bundesrechnungshof hat im Mai 2013 in einem weiteren Gutachten zu dieser Wirtschaftlichkeitsuntersuchung Stellung bezogen. Unter Verweis auf (nur) vier methodische Mängel heißt es dort: »Die Ergebnisse der vorliegenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zum ÖPP-Projekt BAB A7 vom November 2012 deuten darauf hin, dass nach dem derzeitigen Stand die Wirtschaftlichkeit der ÖPP-Variante nicht mehr gegeben ist. Wenn die Hinweise des Bundesrechnungshofes beachtet werden, ergibt sich ein wirtschaftlicher Nachteil der ÖPP-Variante von 1,94 % oder 12,8 Millionen Euro (barwertig).«

Gründe, die vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung in Zweifel zu ziehen, gibt es also genug. Entsprechend laut war die Kritik. Der Landtagsabgeordnete Schminke kommentierte das Ergebnis der vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung harsch: »ÖPP geht nur mit Lug und Trug!« Der grüne niedersächsische Bundestagsabgeordnete und Finanzpolitiker Sven-Christian Kindler warf dem Bundesverkehrsminister Manipulation vor, »um die Privatisierung des A7-Ausbaus durchzudrücken«. Die zuständige Gewerkschaft ver.di nannte die Berechnungen »fadenscheinig und nicht nachvollziehbar«; die mit der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung beauftragten Büros hätten die Ergebnisse »zum Nachteil der konventionellen öffentlichen Bauweise […] schön gerechnet.«

In der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestags vom 14. Juni 2013 trug sich daraufhin Denkwürdiges zu. Thema war eben jenes geplante ÖPP-Projekt in Südniedersachsen und die erneut negative Einschätzung des Bundesrechnungshofs. Selbst Ausschussmitglieder der damaligen Regierungsfraktionen CDU/CSU sowie FDP und selbst ein Mitarbeiter des CDU-geführten Bundesfinanzministeriums zeigten sich offenbar angesichts der Faktenlage skeptisch. Es brauchte ein ernstes Gespräch in kleiner Runde mit Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU), um die schwarz-gelben Abgeordneten auf Linie zu bringen. So kam es schlussendlich – gegen die Stimmen der Opposition aus SPD, Grünen und Linken – zu einem Mehrheitsbeschluss pro ÖPP. Dies ist insofern erstaunlich, als der Rechnungsprüfungsausschuss üblicherweise im Konsens über Parteigrenzen hinweg entscheidet – wobei man sich zumeist dem Votum des Bundesrechnungshofs anschließt, den man als eine Art natürlichen Verbündeten ansieht.

Der damalige niedersächsische Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) – seit Anfang 2013 als Nachfolger Bodes im Amt – dürfte die Bedeutung dieses Vorgangs richtig erfasst haben, als er im Sommer 2013 in einer Landtagsrede sagte: »Wenn dann auch noch der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages nach einer – man beachte! – kurzen Sitzungsunterbrechung entgegen allen bisherigen Gepflogenheiten einfach abstimmen lässt und die Kritik des Bundesrechnungshofes mehrheitlich nicht gelten lässt, dann ist das für mich ein Indiz, dass dem ÖPP-Projekt hier mit allen Mitteln zum Erfolg verholfen werden soll, koste es, was es wolle.«

Zumindest mit den letzten Halbsätzen könnte Lies indes nicht nur das Betreiben der Bundesregierung, sondern auch das seines Amtsvorgängers Bode im Blick gehabt haben. Tatsächlich hat dieser wohl noch in den letzten Wochen vor der niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2013 die entscheidenden Weichen für ÖPP gestellt. Im Dezember 2012 hat sein Ministerium dem Bundesverkehrsministerium mitgeteilt, dass man keine Anmerkungen zur vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung habe. Damit war Einvernehmen zwischen Bund und Land hergestellt. Der Staatsrechtler Jörn Ipsen kam später in einem Gutachten für die (dann rot-grüne) Landesregierung zu dem Ergebnis, dass auch aufgrund dieses Einvernehmens ÖPP durch Niedersachsen nicht mehr verhindert werden könne.

Das Vorgehen Bodes ist umso bedeutsamer, als seine eigene Straßenbauverwaltung wiederholt auf die Fragwürdigkeit der vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und auf das kreative Ignorieren niedersächsischer Zahlen hingewiesen hatte. Noch im August 2012 war vereinbart worden, dass das Bundesverkehrsministerium diesbezüglich offen gebliebene Fragen beantwortet. Die gab es schließlich zuhauf – auch, weil zu den ÖPP-Kosten-Berechnungen selbst den niedersächsischen Mitgliedern der Arbeitsgruppe nicht alle Details offengelegt worden waren. Zur Beantwortung dieser Fragen kam es indes bis heute nicht. Stattdessen, so scheint es, sollten KritikerInnen mundtot gemacht werden: Udo Othmer, Amtsleiter der zuständigen Straßenbauverwaltung Bad Gandersheim, musste sich wegen angeblicher »Illoyalität« einem Disziplinarverfahren stellen. Einigen seiner MitarbeiterInnen wurden »dienstliche Erklärungen« darüber abverlangt, wann sie mit wem über die betreffenden Sachverhalte gesprochen hatten. Und Almuth Witthaus, die Präsidentin der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, wurde versetzt. Sie hatte sich hinter ihre MitarbeiterInnen gestellt.

Zumindest für Othmer ging die Sache gut aus: Die im Januar 2013 gewählte rot-grüne Landesregierung stellte das Disziplinarverfahren ein. Wie sie überhaupt eine ÖPP-kritische Linie verfolgte. Auch wenn es letztlich nicht gelang, ÖPP auf Südniedersachsens A7 noch zu verhindern, hatte die Landtagswahl im Januar 2013 damit doch positive Veränderungen gebracht.

Für die Bundestagswahl im September 2013 galt dies nicht. Denn vor dieser Wahl hatten die ÖPP-KritikerInnen und die Beschäftigten der Straßenbauverwaltung noch einen mächtigen Partner: den SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel, dessen Wahlkreis in Südniedersachsen liegt. Er hatte sich mehrfach – auch öffentlich – für einen Ausstieg aus dem ÖPP-Projekt ausgesprochen. Nach der Wahl kam er als frischgebackener Bundeswirtschaftsminister dann zu der Erkenntnis, dass dies nicht mehr möglich sei. Das Projekt sei zu weit fortgeschritten. Und die Finanzen seien begrenzt. Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode wurde Gabriel neben Finanzminister Wolfgang Schäuble (CSU) und dem neuen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schließlich zu einem zentralen ÖPP-Akteur in Deutschland.

Eben jener Dobrindt gab dann im Februar 2017 das erfolgreiche Ende des Vergabeverfahrens zum ÖPP-Projekt in Südniedersachsen bekannt. Ein privater Betreiber bekam den Zuschlag, ab Mai 2017 sollte er tätig werden. Gebaut wurde offenbar ab etwa Herbst 2017. Also über zwei teure Jahre später, als in der vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgesehen war. Und mindestens drei teure Jahre später, als (auf einer Teilstrecke) konventionell mit dem Ausbau hätte begonnen werden können. Die Gesamtkosten betrugen nun plötzlich eine Milliarde Euro – was erstaunt, denn ÖPP wurde mit dem Argument ausgewählt, es sei 29 Millionen Euro günstiger als eine konventionelle Beschaffung. Und obwohl sich die Kosten anschließend um satte 400 Millionen Euro (barwertig weniger) erhöhten, blieb man bei der ursprünglichen Entscheidung. Ob es eine Fortschreibung auch der Kosten einer konventionellen Beschaffung gegeben hatte, um auch weiterhin zu prüfen, welche Variante günstiger ist? Worauf der Kostenanstieg zurückzuführen ist? Wir wissen es nicht. Die Vorgänge sind ja geheim. Die Landesstraßenbauverwaltung Niedersachsen weiß von einer solchen Fortschreibung jedenfalls nichts. Und die Pressestelle des Bundesverkehrsministeriums hat eine entsprechende Anfrage unsererseits zweifach unbeantwortet gelassen.

Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/tricks-und-druck-das-oepp-projekt-auf-der-a7-goettingen-salzgitter--2099.html   |   Gedruckt am: 26.04.2024