Zwei Gründe, warum jemand wie Donald Trump US-Präsident werden konnte

9. November 2016 | Patrick Schreiner

eine satte Überraschung: Der Rechtspopulist Donald Trump wird US-Präsident. Wir nennen zwei Gründe, die auch in Europa nachdenken lassen sollten.

1. Weder Demokraten noch Republikaner boten Alternativen.

David Axelrod, der frühere Chef-Stratege von Barack Obama, wird von Spiegel Online zitiert mit den Worten, die Amerikaner seien „hungrig nach Wandel“. In der Tat ist es offensichtlich, dass viele AmerikanerInnen sich zu den Verlierern zählen – in vielen Fällen zu Recht. Die oft als dumpf und rechts beschimpften weißen US-Männer sind die einzige Bevölkerungsgruppe in westlichen Industriestaaten, deren Lebenserwartung sinkt. Und der sozial unregulierte Freihandel hat vielen Menschen Arbeitslosigkeit und Armut gebracht. Sie alle sind es, die Trump den Sieg gesichert haben.

Weder das Establishment der Demokraten noch das der Republikaner boten diesen Menschen Alternativen. Das zeigt nicht zuletzt die vergleichsweise hohe Zahl der Stimmen für DrittkandidatInnen – offenbar von WählerInnen, für die weder Trump noch Clinton akzeptabel waren.

Die Republikaner lenkten die politische Diskussion in den USA seit Jahrzehnten nach rechts, wenngleich religiös verbrämt. Sie machten den gemäßigten Obama zu ihrem Feindbild, ließen Rassismus wieder gesellschaftsfähig werden und beschimpften seine Gesundheitsreform als sozialistisch. Damit pflasterten sie Trump den Weg.

Die Demokraten machten mit Clinton ausgerechnet eine neoliberale Hardlinerin zur Kandidatin, die mehr als jedeR andere den Filz aus Wall Street, Konzernen, Hollywood und Demokratischer Partei symbolisiert. Zu Recht war sie für viele Menschen nicht wählbar.

Doch mehr noch: Die Demokraten schossen – mit beträchtlicher medialer Unterstützung auch in Europa – gezielt die einzige Person ab, die gegen Trump hätte gewinnen können: Den linken Bernie Sanders. Während der Vorwahlen zeigten Umfragen regelmäßig, dass Sanders im direkten Duell gegen Trump deutlich besser abgeschnitten hätte als Clinton. Das zeigt einmal mehr: Vor die Wahl gestellt zwischen einer linken Alternative und rechter Ideologie setzt das kapitalistische Establishment lieber auf die rechte Karte. Es ist ihm im Zweifel die unschädlichere Variante.

2. Den Menschen wurde (und wird) jegliches Bewusstsein für Interessensgegensätze ausgeredet.

Wären die Demokraten ehrlich, so müssten sie sich die folgende Frage stellen: Warum konnte ausgerechnet ein reicher Erbe, Multi-Millionär und Unternehmer zum Vorkämpfer der (angeblich oder tatsächlich) Deklassierten werden? Und wären sie dazu auch noch selbstkritisch, so lautete die Antwort: Weil den Menschen jegliches Bewusstsein für Interessensgegensätze zwischen Arbeit und Kapital bzw. zwischen oben und unten ausgeredet wurde – unter tatkräftiger Mithilfe der Demokraten selbst. Trumps Variante eines Oben-Unten-Gegensatzes, sein „Volk gegen Washington“-Gerede, ist lediglich der rechts-neoliberale Abklatsch einer echten und ehrlichen Gesellschaftsanalyse, die Interessensgegensätze und Antagonismen betont.

Das politische Elend reicht aber noch weiter: Seit Jahrzehnten wird den Menschen nicht nur erzählt, dass Kapital, Kapitalismus und Arbeitgeber irgendwie legitim und richtig seien, sondern ihnen wird auch erzählt, dass sie sich selbst wie Unternehmer verhalten sollen. Das Unternehmertum ist längst zum Vorbild für ganze Lebensläufe gemacht geworden, und zwar auch fernab der Erwerbstätigkeit. Und es erscheint längst als positiver Gegensatz zu Staat und Politik. Es kann daher nicht verwundern, dass die Menschen dann tatsächlich glauben, ein Unternehmer und Multi-Millionär sei nicht nur DER richtige Mann im Weißen Haus, sondern auch IHR richtiger Mann.

Die europäische Sozialdemokratie sollte daraus lernen.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/zwei-gruende-warum-jemand-wie-donald-trump-us-praesident-werden-konnte--1956.html   |   Gedruckt am: 19.04.2024