Jens Berger: „Die Reichen werden immer reicher, die Superreichen immer superreicher“

20. Mai 2015 | Patrick Schreiner

erview mit Jens Berger über Vermögensverteilung und Vermögensungleichheit. Jens Berger ist Volkswirt und Publizist. Er schreibt für die „Nachdenkseiten“ sowie für seinen eigenen Blog „Spiegelfechter“.

Sie haben sich in ihrem Buch „Wem gehört Deutschland?“ mit dem Thema Vermögensungleichheit befasst. Wie groß ist denn die Vermögensungleichheit, und wie hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?

Jens Berger: Global und in Deutschland hat sich die Vermögensschere seit Beginn der 1990er Jahre massiv geöffnet. Egal welche Institute die Messungen vornehmen, die Ergebnisse sind immer die gleichen: Weltweit und insbesondere in Deutschland geht die Vermögensschere auf. Die Reichen werden immer reicher, die Superreichen immer superreicher. Und spiegelbildlich nimmt die Zahl der Menschen ohne Vermögen und der überschuldeten Menschen zu.

Was sind die wichtigsten Gründe für diese Entwicklung?

Jens Berger: Die wichtigsten Gründe lassen sich unter dem Schlagwort Neoliberalismus zusammenfassen. Zu verweisen ist insbesondere auf zurückliegende Senkungen der Steuern für Gutverdienende und für Vermögende, auf die Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Unternehmen sowie auf die zunehmende Konzentration der Renditen auf einige wenige Menschen, die große Vermögen besitzen. Letztlich ist es eine Umverteilung von unten nach oben.

Wie trägt Privatisierung zur Vermögensungleichheit bei?

Jens Berger: Nehmen wir als Beispiel die Privatisierung der Krankenhäuser. Privatisierte Krankenhäuser erwirtschaften rund acht Prozent Kapitalrendite pro Jahr. Das heißt, dass die Besitzer dieser Krankenhäuser acht Prozent ihres Investments jedes Jahr entweder aus dem Konzern herausziehen oder reinvestieren, sprich zur Vergrößerung des Unternehmens verwenden. Diese Renditen werden natürlich nur dadurch erzielt, dass Kosten eingespart werden. Nun sind Krankenhäuser sehr personalkostenintensiv, also wird dort vor allem am Personal gespart. Um das ein bisschen zuzuspitzen: Das, was die Krankenschwester oder der Assistenzarzt weniger bekommt, fließt als Rendite an die Investoren ab. Und das ist symptomatisch für die meisten Privatisierungsprojekte. Die Einnahmen der privatisierten Unternehmen bezahlt die Masse des Volkes, vor allem wenn es um öffentliche Dienstleistungen geht, die Renditen hingegen kommen nur einer sehr kleinen Schicht der Investoren zugute. Die Kostenersparnis über die Senkung von Löhnen verstärkt diesen Effekt noch.

Wer ist es denn, der Kapital besitzt?

Jens Berger: Das ist, wenn man so möchte, eine Mischung aus „altem Geld“ und „neuem Geld“. „Altes Geld“ wird weiter vererbt von Generation zu Generation. Das „neue Geld“ gehört den ganz wenigen Menschen, die den Aufstieg aus der Mittelschicht in die Oberschicht geschafft haben. Von ganz unten gibt es solche Aufstiege fast überhaupt nicht. In Zahlen lässt sich das vielleicht präziser fassen. Das Vermögen der reichsten 80.000 Personen in Deutschland, also von einem Promille der Bevölkerung, ist 16 mal so groß ist wie das Vermögen der „unteren“ 40 Millionen Deutschen zusammen. Letztere sind immerhin die Hälfte der Bevölkerung. Das oberste Prozent, das sind die reichsten 800.000 Personen im Land, hat zusammen so viel Vermögen wie der Rest der Bevölkerung. Wenn sich angesichts dieser Ungleichverteilung die Kapitalrenditen permanent besser entwickeln als die Reallöhne, und das tun sie, soweit wie meine Daten zurückreichen, dann überrascht es nicht, dass die Vermögensschere aufgeht.

Gibt es heute noch Menschen, die als Tellerwäscher anfangen und als Millionär enden?

Jens Berger: Ja, solche Beispiele gibt es in ganz, ganz wenigen Einzelfällen. Aber das ist absolut nicht die Regel. Die Regel ist, dass Reichtum geerbt wird. Das zeigen übereinstimmend alle Studien dazu.

Nun hat man ja in den letzten Jahren und Jahrzehnten einiges unternommen, um auch der Arbeitnehmermittelschicht Vermögensaufbau zu ermöglichen. So hat man vor Jahren die „Riesterrente“ eingeführt. Verbunden war das mit der Hoffnung, dass sich die Menschen durch sie staatlich gefördert ein Vermögen zur Alterssicherung aufbauen. Ein richtiger Gedanke?

Jens Berger: Nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens wurde parallel zur Förderung der privaten Altersvorsorge die gesetzliche Rente reduziert. Auch wenn Ansprüche auf Versorgungsleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine Vermögen im klassischen Sinne darstellen, lassen sie sich im Kontext doch mit privaten Vermögen zur Alterssicherung vergleichen. Tut man das, so wird deutlich, dass die „Riesterrente“ für große Bevölkerungsteile nur Nachteile bringt. Denn das, was sie durch die Senkung der gesetzlichen Rente weniger bekommen, wird noch nicht mal im Ansatz durch die Summe ausgeglichen, die sie durch private Altersvorsorge hinzubekommen. Mal ganz abgesehen davon, dass Riesterrenten-Vermögen am Kapitalmarkt angelegt werden und daher sehr viel unsicherer sind. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus, und das ist mein zweiter Punkt: Von der privaten Altersvorsorge profitieren vor allen Dingen die Versicherungskonzerne. Diese aber sind Unternehmen und gehören daher letzten Endes – direkt oder indirekt – immer Privatpersonen. Insofern haben bestimmte Privatpersonen von den Rentenreformen profi tiert, nämlich die, denen die großen Versicherungskonzerne gehören. Das sind die Aktionäre – die sich nur zu einem geringen Teil in der Mittelschicht und zu einem sehr großen Teil bei den Reichen und Superreichen finden.

Was wissen wir denn überhaupt über die Vermögensverteilung in Deutschland? Gibt es gute Statistiken, die uns zumindest Schätzungen ermöglichen?

Jens Berger: Das ist die größte Überraschung, die auch ich als Buchautor beim Schreiben hatte: Nein, valide Zahlen gibt es nicht. Grund dafür ist, dass etwa das Statistische Bundesamt, dessen Aufgabe das Erheben solcher Zahlen ja eigentlich wäre, gerade bei den Vermögen nichts erhebt. Ähnlich bei den großen Einkommen, die natürlich eine der wichtigsten Quellen für Vermögen sind. Laut Statistischem Bundesamt werden Haushalte mit einem Netto-Einkommen von mehr als 18.000 Euro im Monat als statistische Ausreißer aus dem Datenpool herausgeschmissen. Es ist natürlich klar, dass, wer Zahlen nicht erhebt, natürlich auch keine Daten zur Vermögensverteilung in Deutschland vorlegen kann. Ich habe deshalb zum einen auf Schätzdaten zurückgegriffen, zum anderen auf Daten aus Umfragen renommierter und seriöser Institute wie dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) oder der Deutschen Bundesbank. Auch hier gibt es natürlich Ungenauigkeiten. So gibt es hier das Problem, dass die Befragten freiwillig mitmachen, gerade die Reichen aber ihre Vermögensverhältnisse nicht gerne offenlegen. Sie nehmen daher an Umfragen dazu schlicht nicht teil. Bei beiden Studien, der des DIW und der der Bundesbank, gibt es deshalb keinen einzigen Haushalt, der über mehr als 60 Millionen Euro Vermögen verfügt. Diese Lücke in den Daten setzt sich also leider auch in diesen Studien fort. Nun veröffentlicht die Zeitschrift „Manager-Magazin“ regelmäßig eine Top-500-Liste der reichsten Deutschen, beruhend auf Schätzungen. Man kann, was ich im Buch auch gemacht habe, einfach mal diese Liste zu den Daten des DIW oder der Bundesbank hinzuzählen. Dann kommt man auf ganz andere Zahlen als die, die das DIW und die Bundesbank ursprünglich veröffentlicht haben.

Also konzentriert sich offenbar ein Großteil des Vermögens auf einige wenige Leute an der Spitze. Nun gab es ja im letzten Bundestagswahlkampf von mindestens drei Parteien die Forderung, die Vermögenssteuer wieder zu aktivieren. Diese Forderung gibt es immer noch, auch wenn sie politisch vorerst nicht umgesetzt wird. Insbesondere die Grünen haben wohl 2013 aufgrund ihrer steuerpolitischen Forderungen Stimmen eingebüßt – auch, weil interessierte Medien Ängste geschürt haben, dass schon Facharbeiter und die Mittelschicht dann stärker besteuert würden. Was ist davon zu halten? Sie fordern in ihrem Buch ja auch eine Vermögenssteuer.

Jens Berger: Das Erstaunliche an der ganzen Debatte ist in der Tat, dass Otto Normalbürger häufig denkt, er selbst sei von einer Vermögenssteuer betroffen. Dafür gibt es wohl zwei Gründe – erstens sicherlich Kommunikationsfehler der Befürworter einer Vermögenssteuer, und zweitens eine Verdrehung der Argumente durch die, von denen Otto Normalbürger seine Informationen hat. Entsprechende Medienberichte, gespickt mit Zitaten von Gegnern der Vermögenssteuer, gab es in der Tat viele. Sie schürten Angst. Ich meine aber, zu Unrecht. Denn letztlich braucht es nur ausreichende Freibeträge, und die sehen alle vorliegenden Konzepte zur Vermögensteuer vor. Es ist doch offensichtlich: Wenn man beispielsweise eine Klausel einführt, nach der selbstbewohntes Wohneigentum bis zum Wert von einer Million Euro komplett steuerfrei bleibt, dann würde eine Vermögenssteuer garantiert niemanden aus der Mittelschicht treffen.

Nun wird ja in Deutschland, anders als noch vor eineinhalb Jahren, nicht mehr gerne über Vermögensverteilung und Vermögenssteuer gesprochen. Aber international scheint es ja eine gewisse Wende gegeben zu haben: Die OECD konstatiert, dass die Einkommensungleichheit das Wachstum hemmt, und der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat ein erfolgreiches Buch über Vermögensungleichheit geschrieben. Kommt diese Debatte dadurch gerade auch wieder nach Deutschland zurück?

Jens Berger: Das will ich hoffen. Dass die Diskussion international geführt wird, ist gut, denn die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist ja auch ein internationales und gesamtwirtschaftliches Phänomen. Einige Ökonomen haben das Problem erkannt. In Deutschland leider noch nicht im notwendigen Maße. Ich hoffe aber, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird.

Der Artikel erschien zuerst in WISO-Info 1 (2015).

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/jens-berger-die-reichen-werden-immer-reicher-die-superreichen-immer-superreicher--1502.html   |   Gedruckt am: 06.12.2024