CETA/TTIP: Wie die SPD die Freihandelsabkommen retten wird

2. März 2015 | Ulf Birch

aktuellen Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada) und Investitionsschutz bzw. Schiedsgerichte im Besonderen hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Kehrwende hingelegt. Ich habe mich gefragt, wann und wodurch der Positionswechsel des SPD-Parteichefs eingeleitet wurde – und kam zu nicht ganz überraschenden Ergebnissen.

Im ZEIT-Artikel vom 24.2.2015 „TTIP - Kann er nicht oder will er nicht? Vizekanzler Sigmar Gabriel findet Schiedsgerichte plötzlich sinnvoll. Der Sinneswandel im TTIP-Streit kommt überraschend“ wird diese politische Kehrtwende zu den Schiedsgerichten beschrieben. Zur Erinnerung: Noch im September 2014 hatte Gabriel verkündet, er wolle versuchen, den umstrittenen Investorenschutz im CETA-Freihandelsabkommen zu verhindern. Die rote Linie war bis dahin klar: Ablehnung von undemokratischen und rechtlich nicht legitimierten Schiedsgerichten. Im gemeinsamen Positionspapier von SPD/BMWI und DGB vom 18. September 2014 heißt es hierzu:

Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen wie ‚Faire und gerechte Behandlung’ oder ‚Indirekte Enteignung’ abzulehnen.

Im Bundestag bezog Gabriel am 25. September 2014 klar Position:

"Wir brauchen keinen Investitionsschutz bei TTIP und CETA.“ Das Kapitel Investitionsschutz sei in der vorliegenden CETA-Fassung für Deutschland nicht zustimmungsfähig und die Bedingungen müssten aus deutscher Sicht an wichtigen Stellen nachgebessert werden.

Deutlicher geht’s nicht, oder?

Doch dann kam der 9. November 2014. An diesem Tag veröffentlichten die Wirtschaftsverbände BDI, BDA, DIHK und ZDH eine gemeinsame Erklärung zum TTIP-Abkommen. Darin heißt es unter anderem:

Investitionsschutzverträge und Investor-Staats-Schiedsverfahren sind seit Jahrzehnten bewährte Instrumente für deutsche Unternehmen, um ihre Investitionen im Ausland abzusichern. EU-Kommission und US-Regierung können die TTIP-Verhandlungen nutzen, Defizite in bestehenden Investitionsschutzverträgen und bei Schiedsgerichtsverfahren zu ermitteln und Reformen umzusetzen. Ein solches modernes Investitionsschutzkapitel lohnt sich: Es kann Investitionen fördern und als Messlatte für andere Abkommen dienen – selbstverständlich ohne die Rechtssysteme in der EU und den USA auszuhöhlen.

Ahoi, ihr Wirtschaftskapitäne! Der Kurs war damit festgelegt, damit CETA und TTIP sicher in den US- und EU-Häfen ankommen. Wir merken uns „Defizite bei ISDS ermitteln“ und „Reformen umsetzen“ – gemeint waren wohl eher „Reförmchen“. Am 23. Februar 2015 sollte BDI-Chef Grillo sagen:

Der Investitionsschutz darf dabei nicht so schwach ausfallen, dass er Investoren am Ende keinen Schutz mehr bietet.

Die Medien griffen den dadurch auf Gabriel ausgeübten Druck natürlich gerne auf, wie zum Beispiel die FAZ oder hier N24.de:

Streitpunkt Freihandelsabkommen mit den USA: Deutsche Wirtschaft gegen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel

Die EU-Kommission wurde jedoch im Laufe des Jahres 2014 gezwungen, auf den Druck von 150.000 Online-Eingaben gegen den Mechanismus zur Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten (ISDS) sowie von 1,5 Millionen BürgerInnen-Unterschriften gegen das TTIP-Abkommen öffentlich zu reagieren. Als die neue EU-Handelskommissarin Celia Malmström die Ergebnisse der Konsultation zum Investitionsschutz im Handelsabkommen TTIP am 13. Januar 2015 vorstellte, hat sie dies mit Reformvorschlägen der EU-Kommission zum Schiedsverfahren und zum Investorenschutz verbunden.

Schauen wir uns die Punkte, bei denen laut Kommissionsanalyse besonders großer Reformbedarf besteht, einmal an. Die Tagesschau berichtete online:

Vor allem soll garantiert werden, dass Konzerne durch die Klagen auf keinen Fall europäische Gesetze aushebeln können. Außerdem müsse die extreme Geheimniskrämerei bei den Schiedsverfahren beendet werden. Und es müsse eine Berufungsmöglichkeit gegen die Schiedssprüche geben.

Und in einer Heise-Nachricht steht zu lesen:

Das Schutzsystem muss nach Ansicht von Kommissionsvertretern auf jeden Fall reformiert werden. So müsse eine "Enteignung" von Firmen möglich sein, wenn es nicht "offensichtlich unrechtmäßig" zugehe. Das sei im so gut wie fertigen EU-Handelsabkommen mit Kanada (CETA) bereits berücksichtigt. Im technischen Verfahren liebäugeln Brüsseler Kreise zudem mit einer Berufungsinstanz, um die Entscheidungen des Schiedsgerichts zumindest anfechten zu können. Auch ein offizieller internationaler Handelsgerichtshof, der mehr Rechtssicherheit schaffen könnte, wird als Option diskutiert. Es sei aber fraglich, ob das bereits mit TTIP realisiert werden könne.

Alles klar, Frau Kommissar! Doch wer hat’s erfunden? Richtig, der BDI. Offen bleibt die Frage, wer die Reformvorschläge der netten Kommissarin aufgeschrieben hat.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte noch am 13. Januar 2015 laut DW dazu:

"Die EU-Kommission sollte die Kritik ernst nehmen und die Verhandlungen dazu nutzen, den Investitionsschutz umfassend zu modernisieren." BDI-Präsident Ulrich Grillo warnte aber davor, das umstrittene Thema aus dem Abkommen ganz zu streichen. "Investitionsschutzverträge sind unverzichtbar für die weltweit aktive deutsche Wirtschaft.“

Mit anderen Worten: gut gemacht, weiter so! Die Kommission hatte ja bereits zu verstehen gegeben, dass sie am Investorenschutz selbst festhalten will. Damit war die gemeinsame Linie der EU-Kommission und der deutschen Wirtschaftsverbände klar. Jetzt musste man nur noch den deutschen Bundeswirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzenden ins Boot holen. Druck auf ihn war ja inzwischen genug ausgeübt worden.

Es folgte dann ein Treffen sozialdemokratischer Wirtschafts- und Handelsminister europäischer Länder am Wochenende vom 21./22. Februar 2015 in Madrid. Hierbei ging es um einen Kompromissvorschlag zur Gestaltung der umstrittenen privaten Schiedsgerichte im Zusammenhang mit den geplanten Freihandelsabkommen. Die inoffizielle Übersetzung des Positionspapiers „Verbesserungen an CETA und darüber hinaus – Meilensteine für modernen Investitionsschutz setzen“ findet sich auf der Webseite der SPD.

Danach soll es zwar Schiedsgerichte geben, die Konflikte zwischen Investoren und Staaten regeln und Streitigkeiten beilegen. Diese müssten aber neue Grundsätze und folgende Bedingungen erfüllen: sie sollen von unabhängigen Berufsrichtern und Wissenschaftlern besetzt sein und nicht, wie bisher vorgesehen, von privatwirtschaftlich interessierten Anwälten. Die Verfahren sollen öffentlich ausgetragen werden und der Unterlegene soll die Chance auf Berufung haben. Sollte es gelingen, in den transatlantischen Abkommen solche Schiedsgerichte zu etablieren, wäre dies ein erster Schritt in Richtung eines unabhängigen Handels- und Investitionsgerichtes. Keinesfalls dürfe die Gestaltungsmacht demokratisch gewählter Parlamente ausgehöhlt werden.

Im eingangs genannten ZEIT-Artikel lesen wir dazu:

Schiedsgerichte der Zukunft könnten ganz anders funktionieren und viel besser. Würden sie so reformiert, wie Sozialdemokraten das jetzt für Ceta ausgearbeitet haben, könnte das einen neuen ‚Goldstandard’ setzen. Tatsächlich haben sechs sozialdemokratische Handelsminister und Staatssekretäre gemeinsam mit SPD-Europapolitiker Bernd Lange in der vergangenen Woche ihre Ideen für die Reform der Schiedsgerichte aufgeschrieben. Und ihre Parteichefs haben das Papier dann am Wochenende noch einmal abgesegnet.

Die FAZ vom 22. Februar 2015 titelte daraufhin:

Ceta und TTIP: Gabriel will Freihandelsabkommen retten“

Die einzelnen Punkte des SPD-Papiers kommen uns bekannt vor. Die Forderungen bewegen sich in dem Rahmen, den die EU-Kommission bereits selbst als Ergebnis ihrer Konsultation zum Investorenschutz und zu ISDS in TTIP umrissen hat (siehe oben), was im SPD-Positionspapier auch offen eingeräumt wird (S. 2). Damit ist auch klar, dass es sich um keine originär sozialdemokratischen Forderungen handelt – die Blaupause gibt die EU-Kommission ab. Und so schließt sich der Kreis…

…hin zur deutschen Wirtschaft. Gleich am Montag darauf, dem 23. Februar 2015, eilte Super-Siggi in die Business-Show des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Show-Biz kennt der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD ja durchaus. Beim "Transatlantischen Wirtschaftsforum 2015" erläuterte er die in Madrid mit seinen sozialdemokratischen Amtskollegen abgestimmte Position zum Investorenschutz. Die Agentur Reuters schreibt:

BDI-Präsident Grillo machte deutlich, dass die deutsche Industrie sich offen zeige für ein modernisiertes Schlichtungsverfahren von Streitigkeiten zwischen Staates und Investoren (ISDS). Dennoch hielte die Industrie den Investorenschutz im Abkommen mit den USA für unverzichtbar.

Investorenschutz ist also unverzichtbar. Wirtschaftsvertreter reden doch sonst immer vom unternehmerischen Risiko. Also sollten sie es auch tragen, wenn sie unter ‚unsicheren‘ Gegebenheiten investieren, weil es Profit verspricht – oder?

BDI-Chef Grillo wurde konkreter:

Das umstrittene Schiedsverfahren müsse transparenter werden und einen Berufungsmechanismus bekommen. Zudem müssten neue Verträge garantieren, dass die Staaten in ihrer auf das Allgemeinwohl ausgerichteten Gesetzgebungs- und Regulierungskompetenz weiter nicht beeinträchtigt würden. Er sprach sich auch für ein transatlantisches Gremium aus, in dem die Staaten Regeln und Standards abstimmen.

Kommt uns alles bereits bekannt vor. Aufgegriffen in seiner Rede hat er die Vorschläge der EU-Kommission und der sozialdemokratischen Handels- und Wirtschaftsminister zu den „Reförmchen“ der Schiedsgerichte. Applaus von Vertretern anderer Wirtschaftsverbände und von EU-Kommissarin Malmström – na klar, sind ja auch „ihre“ Vorschläge! Na also, geht doch, Siggi… Nachzulesen bei der Agentur Reuters vom 23. Februar 2015:

Deutsche Industrie pocht auf Investitionsschutz in TTIP-Abkommen

Noch am selben Tag fand die Konferenz „Transatlantischer Freihandel – Chancen und Risiken“ der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion statt. Dabei standen eindeutig die Chancen im Mittelpunkt. Risiken benannten lediglich die Gewerkschaftsvertreter: So der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der Konzernbetriebsratsvorsitzende der ThyssenKrupp AG. Damit war es eine reine SPD-Werbeveranstaltung für die Abkommen CETA und TTIP.

Was machen nun die von uns gewählten Volksvertreter im Europäischen Parlament angesichts dieser inhaltlich sehr eng beieinander liegenden Positionen von Wirtschaftsverbänden, EU-Kommission, sozialdemokratischen Wirtschaftsministern und Parteichefs in Europa? Der Vorsitzende des Ausschuss für internationalen Handel und TTIP-Berichterstatter des EU-Parlaments, Bernd Lange (SPD), hat die Empfehlungen seines Ausschusses zu den Verhandlungen über TTIP am 5. Februar 2015 veröffentlicht. Die EU-Abgeordneten empfehlen,

sicherzustellen, dass ausländische Investoren diskriminierungsfrei behandelt werden und eine faire Chance haben, bei Missständen Abhilfe zu verlangen und zu erhalten, was durch die Aufnahme eines ISDS-Mechanismus erreicht werden kann; ein solcher Mechanismus ist im TTIP-Abkommen aufgrund der hochentwickelten Rechtssysteme der EU und der USA nicht notwendig; ein zwischenstaatliches System zur Beilegung von Streitigkeiten und die Anrufung nationaler Gerichte sind die geeignetsten Instrumente zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten.

Eine eindeutige Ablehnung liest sich anders. Und das Argument, man brauche Schiedsgerichte (ISDS) nicht in funktionierenden Rechtsstaaten, hat einen gefährlichen Pferdefuß. Denn das heißt gleichzeitig, man braucht das Instrument zumindest in Staaten mit anderem oder nicht funktionierendem Rechtssystem. Der Entwurf der Empfehlungen findet sich auf der Webseite von Bernd Lange.

Ach ja, und dann soll noch der Parteikonvent der SPD „basisdemokratisch“ über die sozialdemokratische Position zu den EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) beraten. Teile der linken SPD schwenken schon auf die Kompromiss-Linie des Parteivorsitzenden ein. Muss Gabriel jetzt noch Widerstand aus den Reihen seiner Partei fürchten? Am Ende werden alle verantwortlichen SPD-Politiker zustimmen – mit kleinen Reformen an den Schiedsgerichten. Wetten?

Fazit

Rückblickend muss man feststellen, dass sowohl die EU-Kommission als auch die sozialdemokratischen Wirtschafts- und Handelsminister sowie Parteichefs in Europa den Forderungen der deutschen Wirtschaft inhaltlich nachgekommen sind. Der Vorschlag, den sozialdemokratische Politiker zur Reform der Schiedsgerichte und des Investorenschutzes im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen CETA ausgearbeitet haben, entspricht in wesentlichen Punkten der Position, die auch die deutschen Wirtschaftsverbände als Ausweg aus der massiven öffentlichen Kritik vorgeschlagen haben. Ihnen sind „Reförmchen“ dann wichtig, wenn dadurch die CETA- und TTIP-Abkommen nicht gefährdet werden.

An unserer gewerkschaftlichen Kritik an den Freihandelsabkommen ändert dies alles nichts. Selbst wenn Schiedsgerichte und Investorenschutzklauseln ganz gestrichen werden würden, bliebe unsere formulierte Kritik an wesentlichen Teilen des CETA- und TTIP-Abkommens weiterhin bestehen. Es gibt für uns GewerkschafterInnen keinen Grund, CETA oder TTIP mit kleinen Reformen zuzustimmen, so lange unsere Bedenken zu den Gefahren für Arbeitnehmer-, Umwelt- oder Verbraucherschutzrechten nicht vom Tisch sind.

Ulf Birch arbeitet bei der Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Niedersachsen-Bremen.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/cetattip-wie-die-spd-die-freihandelsabkommen-retten-wird--1494.html   |   Gedruckt am: 27.04.2024