Wie die FAS Zahlen zur Steuerhinterziehung in Frage stellt, ohne sie in Frage stellen zu können

17. Juli 2014 | Patrick Schreiner

nkfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat am vergangenen Wochenende wieder einmal ein Bravourstück in Sachen Volksverwirrung abgeliefert. Sie berichtet über die Studie des französischen Ökonomen Gabriel Zucman, der Daten zum Ausmaß von in Steueroasen liegenden Vermögenswerten berechnet hat und zu erstaunlich hohen Werten kommt. Diese Zahlen seien übertrieben, suggeriert die FAS im Großgeschriebenen – und bleibt im Kleingeschriebenen den Beweis dafür nicht nur schuldig, sondern muss sogar einräumen, dass die entscheidenden Zahlen wohl zutreffen.

Der von Dyrk Scherff geschriebene Artikel, erschienen im "Geld"-Teil der FAS, ist wie folgt aufgebaut:

(1) Der Titel lautet „4700 Milliarden Euro in Steueroasen“. Der danach folgende, recht groß gesetzte Teaser lautet:

Ein französischer Ökonom hat spektakuläre Rechnungen zur globalen Steuerhinterziehung vorgelegt. Er fordert drastische Konsequenzen. Doch seine Zahlen sind zweifelhaft.

(2) Danach folgt eine recht lange Ein- und Hinführung, in der unter anderem die in der Überschrift genannte, enorme Zahl von 4700 Milliarden nicht versteuerten Euro in Steueroasen wiederholt wird. Im fünften Absatz gibt die FAS anschließend Zucmans Vermutung wieder, dass vielen Ländern durch Steueroasen jährlich 130 Mrd. Euro Steuern verloren gehen.

(3) Im sechsten Absatz wird der Vorwurf wiederholt, dass „Zucmans Zahlen“ (also alle Zahlen…) „umstritten“ seien.

(4) Dann erst folgt eine längere Darstellung der Methodik, nach der Zucman vorgegangen ist. Dabei muss die FAS – unter Bezug auf den gewiss nicht linken Ökonomen Clemens Fuest vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung – einräumen, dass die Summe von 4700 Milliarden Euro nicht deklariertes Vermögen wohl korrekt berechnet wurde.

(5) Und erst danach, etwa in der Mitte des Artikels, wird offengelegt, was genau eigentlich an Zucmans Zahlen „umstritten“ und „zweifelhaft“ sein soll. Nämlich dessen Vermutung, dass den Staaten jährlich 130 Mrd. Euro verloren gehen. (Diese Zahl beruht auf einer möglichen, aber offenbar in der Tat etwas hemdsärmeligen Schätzung.)

Mit anderen Worten: Den Wert von 4700 Mrd. Euro unversteuertem Vermögen in Steueroasen hat Zucman völlig korrekt berechnet. Was aber der FAS und ihren LeserInnen nicht gefallen kann, schließlich hält man ja als Zeitung der Besserverdienenden nichts von Steuern.

Wer also von der FAS lernen möchte, wie man korrekte Zahlen in Zweifel zieht, kann nachstehender Anleitung folgen:

  1. Man beziffere die Zahl mindestens zwei Mal, unter anderem in der Überschrift.
  2. Man schreibe mindestens drei Mal von „fragwürdigen“, „umstrittenen“ oder "angreifbaren" Zahlen, am besten auch prominent im Teaser, ohne aber klarzumachen, auf welche Zahlen man sich dabei bezieht; auf diese Weise suggeriert man, die im Titel genannte Zahl sei gemeint.
  3. Und erst spät im Artikel lege man offen, dass man eine ganz andere, unwichtigere Zahl als unkorrekt ansieht.
  4. Und dann hoffe man auf LeserInnen, die den Artikel nur zur Hälfte oder nur mit reduzierter Aufmerksamkeit lesen – oder noch besser: LeserInnen, die nur Überschrift und Teaser zur Kenntnis nehmen.

Voilà.

Anmerkung: Der Artikel ist auch im Internet nachzulesen. In dieser Web-Version wurde allerdings der Teaser geändert und entschärft.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.

URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/wie-die-fas-zahlen-zur-steuerhinterziehung-in-frage-stellt-ohne-sie-in-frage-stellen-zu-koennen--1412.html   |   Gedruckt am: 18.04.2024