26. Mai 2014 | Patrick Schreiner
en in Deutschland sind äußerst ungleich verteilt – das ist keine neue Erkenntnis. Und doch wurde es Zeit, die gesamte Thematik der Vermögens-Ungleichverteilung einmal in ihrer gesamten Breite zusammengefasst darzustellen. Der Buchautor und Redakteur der „Nachdenkseiten“, Jens Berger, hat dies jüngst getan. Wer über Verteilungsfragen diskutieren möchte oder wer meint, vor solchen Fragen die Augen verschließen zu können, der sollte sein Buch „Wem gehört Deutschland?“ lesen.
In jüngster Zeit sind Verteilungsfragen, insbesondere jene zur Vermögensverteilung, in Politik und Medien wieder stärker thematisiert worden. Dazu mögen die zurückliegenden Aktionen des „Bündnis Umfairteilen“ sowie der Occupy- und Blockupy-Bewegung ebenso beigetragen haben wie auch verteilungspolitisch motivierte Forderungen nach einer anderen Steuerpolitik, die SPD, Linke und Grüne (zu Recht, aber erfolglos) vor den letzten Bundestagswahlen erhoben haben. Und aktuell dürfte sicherlich Thomas Pikettys in den USA breit diskutiertes Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“ das öffentliche Interesse an Verteilungsfragen steigern. Selbst bürgerlich-neoliberale Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Spiegel Online kommen nicht umhin, diesem Thema eine größere Aufmerksamkeit zu widmen. Und sei es nur, um beschwichtigend zu beteuern, dass mit der zunehmenden Ungleichverteilung bei Vermögen alles seine Richtigkeit habe und Grund zur Sorge nicht bestehe; oder aber zu suggerieren, dass es ganz anderer „Lösungen“ der Verteilungsfrage bedürfe: So konnte Hans-Werner Sinn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung allen Ernstes verkünden, das Verteilungsproblem würde sich schon von alleine lösen, wenn die Reichen mehr Kinder als die Armen bekämen.
Vor diesem Hintergrund erscheint Bergers „Wem gehört Deutschland?“ nicht nur genau zum richtigen Zeitpunkt, sondern auch mit der richtigen Stoßrichtung. Für Berger ist das Verteilungsproblem kein biologisches, keines der Fortpflanzung, sondern ein politisch herbeigeführtes, das entsprechend auch nur politisch wieder gelöst werden kann. Um dies zu belegen, stellt er umfassend alle wichtigen Aspekte der Vermögensverteilung dar – von Statistiken zu dessen Ungleichverteilung über die Privatisierung der individuellen Altersvorsorge, vermeintliche „Volksaktien“ und Betriebsvermögen bis hin zu den Akteuren auf den internationalen Finanzmärkten. (Da die Vermögensstatistiken in Deutschland allerdings alles andere als umfassend und verlässlich sind, politisch wohl durchaus gewünscht, muss Berger manche Daten selbst ableiten.) Hinzu kommen zahlreiche Detailaspekte, die das Buch abrunden. So plädiert Berger dafür, die verteilungspolitischen Wirkungen des Zinseszins-Effektes ernst zu nehmen – diesen zugleich aber nicht, wie es die Zinskritik tut, zum alleinigen oder hauptsächlichen Übel des Kapitalismus aufzubauschen. Ein weiteres Detailthema, das Berger aufgreift, ist die wachsende Zahl der Solo-Selbständigen. Seine Ausführungen zeigen, dass sich Prekarisierung keineswegs nur diesseits der Scheidelinie zwischen abhängig Beschäftigten auf der einen und Selbständigen sowie UnternehmerInnen auf der anderen Seite vollzieht.
Diese beiden zuletzt genannten Beispiele zeigen ein Weiteres: Berger schreibt unaufgeregt und abwägend – es ist diese Haltung, die die Argumentation von „Wem gehört Deutschland?“ trägt und prägt. Umso überzeugender kann er Ross und Reiter nennen, wenn er Verursacher und Profiteure der zunehmenden Ungleichverteilung aufführt. So verweist er etwa auf die fragwürdige Rolle der großen Medienkonzerne bei der Durchsetzung neoliberalen Denkens sowie auf das Versagen der deutschen Sozialdemokratie bei der „Reform“ der Altersversorgung und bei der Einführung von Hartz IV. Und er macht – nicht zuletzt an solchen Beispielen – immer wieder deutlich, dass der Besitz von Vermögen mit politischer Macht einhergeht (auch dieser Umstand wird derzeit in den USA intensiv diskutiert.) Diese ungleiche Machtverteilung wiederum verstärkt verteilungspolitische Beharrungstendenzen, denn selbstredend setzen die politisch Mächtigen ihre Macht zum Erhalt der eigenen Privilegien ein.
Genau dies ist das Beunruhigendste an der Lektüre: Sie zeigt, dass man mit kleinen, noch so wohlmeinenden Trippelschritten die zunehmende Ungleichverteilung nicht stoppen oder gar umkehren kann. Der massive Widerstand neoliberaler Medien, interessierter Verbände und reaktionärer PolitikerInnen gegen auch nur minimale Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente, gegen einen (ohnehin niedrigen!) allgemeinen Mindestlohn und gegen eine auch nur ein wenig gerechtere Steuerpolitik untermauert diese Feststellung.
Gut lesbar, überzeugend argumentierend und inhaltlich breit angelegt zeigt Bergers „Wem gehört Deutschland?“, welches Ausmaß die Ungleichverteilung von Vermögen in Deutschland und weltweit mittlerweile erreicht hat und welche verheerenden ökonomischen und sozialen Folgen dies zeitigt. Dabei greift Berger auf Zahlen, Daten und Fakten zurück, die zwar überwiegend (mit mehr oder weniger großem Aufwand) auch anderswo zu finden sind – die aber noch nie an einer Stelle zusammengefasst, miteinander verbunden und erläutert wurden. Ein wichtiges Buch gerade in den heutigen Zeiten, in denen auf Verteilungskrisen mit noch mehr Umverteilung von unten nach oben reagiert wird.
Bibliografische Angaben
Jens Berger: Wem gehört Deutschland? Die wahren Machthaber und das Märchen vom Volksvermögen. Westend-Verlag 2014. 256 Seiten, 17,99 Euro, ISBN 978-3864890536.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/rezension-wem-gehoert-deutschland--1386.html | Gedruckt am: 05.12.2024