Nicht Technologie, sondern Politik führte zum Verschwinden von Jobs mit mittleren Einkommen

9. Dezember 2013 | Dean Baker

uletzt in den aktuellen Diskussionen um Niedriglöhne und Mindestlöhne taucht bisweilen das Argument auf, dass die zunehmende Lohn-Ungleichheit auf technologischen Wandel zurückzuführen sei. Die Handlungsmöglichkeiten, so wird dann suggeriert, seien angesichts dieser nicht-politischen und kaum beeinflussbaren Ursache begrenzt. Wir veröffentlichen im Folgenden die deutsche Übersetzung eines Artikels, der sich am Beispiel der USA kritisch mit diesem Argument auseinandersetzt und stattdessen überzeugendere Ursachen der zunehmenden Lohn-Ungleichheit aufführt.

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In Kreisen der Eliten ist die Ansicht weit verbreitet, dass der rasche Anstieg der Ungleichheit in den USA in den letzten drei Jahrzehnten ein bedauerlicher Nebeneffekt des technologischen Fortschritts sei. Gemäß dieser Erzählung hatte Technologie den Effekt, mehrere zehn Millionen Jobs mit mittlerem Einkommen für Fabrikarbeiter, Buchhalter und ähnliche Tätigkeiten auszulöschen. Dies seien Jobs gewesen, durch die Menschen mit begrenzter Ausbildung gemeinsam mit ihrer Familie den Lebensstandard der Mittelschicht erreichten. Computer, heute Roboter und andere technologische Innovationen, reduzierten allerdings dramatisch den Bedarf an solcher Arbeit. Dies habe zur Folge, dass viele der verbleibenden Jobs in diesen Sektoren schlechter bezahlt werden und dass viele Menschen, die eigentlich Arbeitsplätze mit einem mittleren Lohneinkommen gehabt hätten, nun in die schlechter bezahlten Sektoren des Arbeitsmarkts drängten.

Diese Erzählung beruhigt und ermutigt die Eliten, denn sie bedeutet, dass Ungleichheit etwas ist, das einfach passierte – und nichts, was sie selbst herbeigeführt hätten. Die Eliten stünden auf der Gewinnerseite, schlicht weil sie die Fähigkeiten und die Intelligenz hätten, um in einer dynamischen Wirtschaft Erfolg zu haben; anders als die großen Massen der Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihnen gegenüber zurückfallen. Gemäß dieser Erzählung sind Empathie und Bildung das Beste, um den Zurückgefallenen zu helfen. Wir können ihre Chancen auf Verbesserung ihrer Fähigkeiten erhöhen und hoffen, dass dadurch mehr von ihnen zur Gruppe der Gewinner gehören werden.

Das ist eine schöne Erzählung, die aber von Belegen nicht gestützt wird. Meine Kolleginnen und Kollegen Larry Mishel, John Schmitt und Heidi Sheirholz haben gerade ein Papier veröffentlicht, in dem sie zeigen, dass das Muster der Arbeitsplatzentwicklung, wie es in den empirischen Daten erkennbar wird, dem eben beschriebenen Bild ganz und gar nicht entspricht. Das Papier umfasst eine große Vielfalt an Themen, die mit Technologie und Lohnungleichheit zusammenhängen. In erster Linie aber zeigt es, dass die Erzählung vom Aushöhlen der Mitte gemäß der vorliegenden Daten für die 2000er Jahre nicht zutrifft.

Seit dem Jahr 2000 ist Beschäftigungswachstum fast vollständig auf Niedriglohn-Arbeitsplätze beschränkt gewesen. Die Beschäftigung in Arbeitsplätzen mit mittleren wie auch mit hohen Löhnen ist relativ dazu zurückgegangen. Wenn diese Verschiebung von Tätigkeiten allerdings tatsächlich die Ursache von Lohn-Trends wäre, so wäre zu erwarten, dass die Löhne etwa von Beschäftigten im Einzelhandel und von anderen Arbeiterinnen und Arbeitern im Niedriglohnbereich deutlich ansteigen.

Natürlich beobachten wir das Gegenteil. Die Beschäftigten in diesen Tätigkeitsfeldern verloren in den 2000er Jahren weiter an Boden – wie sie es auch in den beiden Jahrzehnten davor taten. In den letzten 30 Jahren hielten ihre Löhne kaum mit der Inflation Schritt.

Die Veröffentlichung von Mishel/Schmitt/Sheirholz präsentiert überzeugende Argumente dafür, dass Technologie nicht der wichtigste Faktor ist, um den Anstieg der Ungleichheit zu erklären. Tatsächlich räumt dies selbst David Autor ein, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ein führender Vertreter der Verschiebungsthese. In einer Kolumne der New York Times wurde er mit folgenden Worten zu der Sichtweise zitiert, dass Technologie Ungleichheit erkläre:

Das kann der politischen Debatte die Luft entziehen... Alle Ökonomen sollten diese vereinfachende Sichtweise zurückweisen.

Angesichts der von Mishel/Schmitt/Sheirholz zusammengestellten Belege ist es schwierig, die Behauptung aufrecht zu erhalten, dass Technologie die Hauptschuldige an der Umverteilung von Einkommen von unten nach oben sei. Doch es ist nicht schwer, andere mögliche Hauptschuldige zu finden. Handel wäre sicherlich weit oben auf dieser Liste. Eine Handelspolitik, die absichtlich Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter in direkten Wettbewerb mit niedrig bezahlten Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungsländern setzt, während Ärzte und andere hochbezahlte Berufe geschützt werden, führt erwartbar zur Umverteilung von Einkommen von ersteren zu letzteren.

Die Schwächung der Gewerkschaften ist wahrscheinlich gleichfalls ein wichtiger Faktor. Der Organisierungsgrad im Privatsektor der USA ist von über 20 Prozent in den 1970ern auf heute weniger als sieben Prozent zurückgegangen. In die gleiche Richtung wirkte sich auch die Deregulierung der großen Branchen wie Luftfahrt, Telekommunikation und Transport aus; auch sie bildete einen Faktor, der den Druck auf die Löhne erhöhte. Die höheren Arbeitslosenraten, die wir – verglichen mit der Nachkriegszeit – nicht nur in den letzten fünf Jahren, sondern in den letzten 35 Jahren beobachteten, haben gleichfalls die Verhandlungsmacht der Arbeiterinnen und Arbeiter im mittleren und unteren Lohnbereich geschwächt.

Wir haben ferner große Veränderungen gesehen, die zum Wachstum der obersten Einkommen beigetragen haben. In dieser Kategorie wären insbesondere die Deregulierung des Finanzsektors sowie Veränderungen in der Betriebsführung zu nennen, letztere ermöglichen es dem Top-Management, seine Lohnschecks weitgehend selbst auszufüllen.

Der große Unterschied zwischen diesen Punkten und der Technologie-Erzählung ist, dass diese Punkte politische Entscheidungen beinhalten. Wenn diese Liste (die noch ausgeweitet werden könnte) den Anstieg der Ungleichheit während der letzten drei Jahrzehnte erklärt, dann bedeutet das, dass diese Ungleichheit ein Ergebnis von Politik ist. Sie war nichts, was einfach passierte; sie war etwas, das wir taten oder das uns angetan wurde.

Daraus resultieren völlig andere politische Handlungsnotwendigkeiten, um Ungleichheit anzugehen. Niemand hat etwas dagegen, dass unsere Kinder eine bessere Bildung erhalten – doch wenn nicht ein Mangel an Fähigkeiten die Ursache der Ungleichheit war, dann werden mehr Fähigkeiten auch nicht die Lösung sein. Vielmehr sollten wir den Finanzsektor und die Managereinkommen zügeln, die Stärke der Gewerkschaften wiederherstellen und auf eine ausgeglichenere Handelspolitik setzen.

Dieses politische Programm würde nicht einfach nur Empathie durch die ganz oben bedeuten, sondern auch dazu führen, dass diese einige ihrer Gewinne der letzten drei Jahrzehnte verlören. Genau deshalb aber hören wir wahrscheinlich auch noch für einige Zeit weiter Erzählungen von der Technologie, die Jobs im mittleren Lohnbereich zerstört, selbst wenn empirische Belege diese Erzählung nicht stützen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Real World Economics Review Blog. Wir danken Dean Baker für die Genehmigung zur Übernahme und Übersetzung des Textes. Er ist von der CC-Lizenz gemäß Impressum ausgeschlossen; das Zitieren und das Verlinken des Textes ist erlaubt, nicht aber das Vervielfältigen/Kopieren. Übersetzung: Patrick Schreiner.

Dean Baker ist ein US-amerikanischer Volkswirt und Publizist. Mit Mark Weisbrot betreibt er das Center for Economic and Policy Research (CEPR).

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