2. September 2013 | Patrick Schreiner
erview mit David Bebnowski über den Populismus der „Alternative für Deutschland“. David Bebnowski ist Sozialwissenschaftler am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
Mit dem "Team Stronach" in Österreich oder der "Alternative für Deutschland" entstehen derzeit politisch nicht so recht einzuordnende neue Parteien. Auch Silvio Berlusconi und sein Popolo della Libertà, obschon seit Jahren politisch etabliert, könnte vielleicht in diese Reihe eingeordnet werden. Diese Parteien richten sich gegen "die Eliten" und wollen erklärtermaßen nicht ideologisch sein. Stattdessen nehmen sie eine Sachkompetenz für sich in Anspruch, als deren Ausweis in Deutschland Wirtschafts- und Juraprofessuren, in Österreich und Italien das erfolgreiche Unternehmertum zentraler Führungsfiguren dienen sollen. Wie anti-ideologisch sind diese Parteien und Personen wirklich?
David Bebnowski: Zunächst einmal ist es Quatsch so zu tun, als ob eine nicht-ideologische Politik segensreich wäre. Überhaupt: Eine nicht-ideologische Weltanschauung – das ist ein Widerspruch in sich, gerade das ist eben wiederum Ideologie. Ideologien sind Mittel, um sich einen Weg durch das Dickicht der Realität zu bahnen, Komplexität zu reduzieren. Das ist elementar für die Politik und trotzdem versucht sie, sich immer unideologischer zu geben. Deswegen muss man sich schon wundern, warum etwa von der „Alternative für Deutschland“ noch weniger Ideologie gefordert wird. Natürlich ist genau das Teil der Ideologie der AfD. Sie gibt eine Mischung aus Alltagsverstand des „kleinen Mannes“ und vermeintlich objektiver wissenschaftlicher Expertise als unbestechliche Wahrheit aus. Dieses Bild beginnt schon zu bröckeln, wenn man sich nur die wirtschaftswissenschaftliche Grundierung ihrer Programmatik anschaut. Wer die Streits unterschiedlicher Ökonomen in der Krise verfolgt hat, kann nicht ernsthaft behaupten, es gäbe hier eine unumstößliche und nicht-ideologische Wahrheit, auf die man sich guten Gewissens zurückziehen könnte.
Macht es einen Unterschied, ob diese Parteien eine charismatische zentrale Führungsfigur haben (wie in Österreich und Italien) oder eben nicht – wie in Deutschland?
David Bebnowski: Ja, natürlich. Ein Charismatiker wirkt anders, polarisiert mehr, schafft dadurch aber eben auch mehr Raum zum Durchatmen für die „hinteren Reihen“. Ich glaube aber durchaus, dass auch AfD-Chef Bernd Lucke ein Charismatiker ist. Er ist es zumindest für AfD-Sympathisanten – und auf die kommt es beim Charisma an. Max Weber hat Charisma schließlich als außeralltägliche Eigenschaft beschrieben, die einer Person eine fast religiöse Aura und damit Macht verleiht. Man darf also nicht den Fehler begehen und im Charismatiker eine starre Figur zu sehen, die einem festen Schnittmuster folgt. Bei Lucke ist es eben das Dröge. Er ist der schmächtige Mann, der mit Expertise, nicht mit dröhnender Rhetorik überzeugt – das verleiht ihm den „Schein des Besonderen“.
Wie anti-elitistisch sind diese Parteien?
David Bebnowski: Polemisch könnte man sagen, dass es schon schwer fällt, einen Anti-Elitismus im Kirchhoffschen Steuermodell oder der Schuldenbremse zu sehen. Das ist allerdings natürlich mit der Vorentscheidung gedacht, dass Anti-Elitismus tatsächlich etwas an der Basis der Einkommenspyramide verändern wollte. Der Anti-Elitismus der AfD funktioniert aber anders: Er richtet sich mit einem Korruptionsvorwurf gegen die etablierten Funktionseliten in der Gesellschaft und nimmt dabei vor allem Banker, Politiker und die Bürokratie aufs Korn. Es ist also eine andere Vorstellung von Eliten, gegen die sich die AfD richtet. Es sind bei der AfD die Vertreter der sogenannten „Altparteien“ – und eben nicht die Wirtschaftseliten, die auf der Linken angegangen werden.
Welche Rolle spielt neoliberales Denken für diese Parteien und Personen?
David Bebnowski: Eine sehr große. Im Grunde hat die letzte Frage hier schon etwas beantworten können. Nochmal grundsätzlicher: Im neoliberalen Denken ist es der Markt, der ohne Probleme und Eingriffe von außen für bestmögliche Resultate für alle sorgen soll. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die ausgemachten Feinde in den Denkfiguren der AfD etablierte Politiker und Banker sind. Denn neoliberaler Ideologie folgend verzerren und korrumpieren diese beiden Gruppen den Markt. Und genau deswegen geraten natürlich auch die Rettungspakete als staatliche Verzerrungen des Marktgeschehens unter so heftigen Beschuss.
Moment – Banker als Feindbilder der Neoliberalen?
David Bebnowski: Natürlich. Es wäre eine äußerst vulgärmarxistische und falsche Analyse, wenn man „der Wirtschaft“ ein ganz und gar einheitliches Bewusstsein unterstellen würde. Der vielbeschworene, häufig handwerklich orientierte Mittelstand hat für die Exzesse des Zockens und des schnellen Geldes nur wenig übrig. Und es ist dieser Mittelstand, der im Grunde seit Adam Smith traditionell die Grundlage der volkswirtschaftlichen Erklärungsmodelle verkörpert, dies ist dann auch bei der AfD nicht anders. Freilich darf man nun nicht so tun, als ob hier deswegen eine subversive Kraft heranreifen würde. Es ist eher ein konservativer Glaube an eine Bereinigung des Marktes, Spielregeln sollen bestimmt werden, die ihn dann gut und ohne Eingriffe funktionieren lassen. Das ist sogar das Kernstück der deutschen Ausprägung des Neoliberalismus, dem Ordoliberalismus der Freiburger Schule.
Man könnte also sagen: Anti-Elitismus von rechts, der die so genannten „Altparteien“ mit deren eigener Ideologie in verschärfter Form angreift?
David Bebnowski: Zunächst einmal sollten wir, anders als es die AfD tut, und auch ich oben von ihr übernommen habe, die polemische Etikettierung „Altparteien“ beiseite lassen. Die AfD tut dies, um die Unterschiede zwischen den Parteien zu verwischen, um sich als Alternative gegen den Politikbetrieb insgesamt gerieren zu können. Es ist ein Aspekt ihres Populismus. Für dieses Verständnis spricht auch, dass sich Bernd Lucke jüngst an den Bundespräsidenten wendete, um Informationen über die Rettungspakete zu erhalten. Gesucht wird eine politische Instanz, die gewissermaßen „unbefleckt“ ist von den politischen Streitigkeiten. Wichtig ist dabei aber, dass die AfD ja an ein bestehendes – und das muss man auch betonen, ja durchaus berechtigtes – Gefühl anknüpfen kann. Überhaupt funktioniert Populismus nur, wenn der Kontakt zwischen Politik und Bürgern empfindlich gestört ist. Die AfD kanalisiert also das durchaus reale und berechtigte Misstrauen, auch die Wut, gegen stark verflochtene und starre politische Systeme, die sich rhetorisch und eben auch personell von der Bevölkerung distanziert haben. Wissenschaftlich wurden die strukturellen Ursachen hierfür bereits in der Krise der 1970er Jahre von rechts als „Unregierbarkeit“ und von links als „Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus“ beschrieben. Dies ist also keineswegs neu und gehört zur Krisendynamik dazu. Neu ist aber, dass eine rechts-konservative Splitterpartei ohne Probleme an den volkswirtschaftlichen Mainstream andocken kann. Hier hat es die Veränderung gegeben. Dies ist das Resultat einer deutlichen Liberalisierung wirtschaftswissenschaftlicher Expertise und der Wirtschaftspolitik insgesamt, die nach den Ölpreiskrisen der 1970er Jahre einsetzte. Insofern ist die AfD selbst das Ergebnis der politischen und auch ideellen Wirtschaftsliberalisierung ab den 1970er Jahren.
Zum Weiterlesen:
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/david-bebnowski-die-afd-ist-folge-der-wirtschaftsliberalisierung-seit-den-1970er-jahren--1235.html | Gedruckt am: 14.12.2024