18. Juni 2013 | Patrick Schreiner, Sebastian Friedrich
bale Finanzkrise und die Eurokrise sind nicht nur soziale und ökonomische Krisen - sie sind sehr viel umfassender Krisen von Gesellschaft, Demokratie und Solidarität. Einmal mehr machen sie deutlich, dass Nationalismus und Ausgrenzung von Neoliberalismus und Kapitalismus nicht zu trennen sind: Während politisch Handelnde die Krise eher verschärfen als bekämpfen, reihenweise ganze Volkswirtschaften zusammenbrechen und kleinere und größere Teile der Gesellschaften verelenden, greifen Nationalismus, Sozialdarwinismus, Rassismus und Ausgrenzung in Europa immer weiter um sich - bisweilen mit Billigung oder aktiver Beteiligung der europäischen Regierungen.
Mit dieser Feststellung soll selbstredend keine Kausalität unterstellt oder gar Rechtfertigung geliefert werden, wohl aber wirft sie Fragen auf: Was sind auf einer analytischer Ebene die theoretischen Hintergründe des Zusammenhangs zwischen Nationalismus sowie Ausgrenzung auf der einen und neoliberalem Kapitalismus sowie Krise auf der anderen Seite? Was sind zugleich auf einer empirischen Ebene die konkreten Erscheinungsformen von Nationalismus und Ausgrenzung im heutigen Europa der Krise?
Diesen beiden Fragen widmet sich ein Sammelband, der im Juni unter dem Titel "Nation - Ausgrenzung - Krise. Kritische Perspektiven auf Europa" (bol.de, thalia.de, buch.de, ebook.de) erschienen ist. Neben ausführlichen theoretischen Überlegungen finden sich darin zahlreiche Beispiele für Nationalismus und Ausgrenzung (vor dem Hintergrund der Krise) aus insgesamt zehn europäischen Ländern. Zumindest einen kleinen Teil der Ergebnisse dieser Länderanalysen wollen wir im Folgenden kurz und schlaglichtartig darstellen, ergänzt um einige weitere Länderskizzen. Obgleich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne tiefere Analyse, macht dieser kursorische Überblick doch deutlich: Der wachsende Nationalismus, die zunehmende soziale Ausgrenzung und der immer weiter um sich greifende Rassismus sind von der Krise und von der neoliberalen Austeritäts- und Kürzungspolitik nicht zu trennen.
In Spanien äußert sich nationalistisches und ausgrenzendes Denken auch als regionaler Nationalismus, wie Patrick Eser in seinem Beitrag für diesen Band am Beispiel Kataloniens und des Baskenlands zeigt. Er beschreibt, wie sich im aktuellen Krisenkontext der in Spanien deutlich ausgeprägte Konflikt zwischen dem Zentralstaat und den Autonomen Gemeinschaften nicht nur verschärft, sondern wirtschaftliche und finanzielle Aspekte dieses Konfliktes diskursiv mehr und mehr in den Vordergrund treten. Forderungen nach staatlicher Unabhängigkeit werden zunehmend ökonomisch begründet, finden stärkeren Wiederhall und schlagen sich deutlich in Wahlergebnissen nieder.
Auch in Belgien stellt regionaler Nationalismus, vielleicht mehr noch als in Spanien, eine veritable Gefahr für den Zentralstaat als solchen dar. Der flämische Nationalismus, der in den vergangenen Jahren das Land bis an den Rand des Auseinanderbrechens gebracht hat, zieht einen Gutteil seiner Legitimation aus dem ökonomischen Gefälle innerhalb Belgiens bzw. der eigenen Stärke gegenüber dem strukturschwachen wallonischen Landesteil.
Eine Verquickung regionaler Komponenten mit nationalistischem und ausgrenzendem Denken und Handeln identifiziert auch Ute Weinmann in ihrem Artikel zu Russland für diesen Band, wenngleich mit umgekehrtem Vorzeichen: Sowohl die russische Peripherie als auch die Republiken im Nordkaukasus werden zunehmend als teure Bremsklötze beschimpft. Hinzu kommt ein zunehmender Rassismus gegenüber Immigrant_innen wie auch gegenüber den BinnenmigrantInnen aus bestimmten Regionen des Landes. Diese Entwicklungen sind, wie so oft, keineswegs neu, scheinen sich im Krisenkontext seit 2008 aber deutlich zu verschärfen.
Dass in Belarus zwei verschiedene Formen des Nationalismus miteinander wettstreiten, zeigt in diesem Band der Beitrag von Torben Villwock. Er identifiziert auf Seiten des Regimes von Alexander Lukaschenko eine Traditionslinie mit durchaus nationalistischen Elementen, die sich im Kern auf die untergegangene Sowjetunion bezieht. In einem gewissen, als „unpolitisch“ verstandenen Ausmaß sind auch antisemitische und homophobe Positionen Elemente dieser kruden Herrschaft. Die Opposition hingegen stellt sich in die Tradition eines belarussischen Nationalismus, den sie mit pro-europäischen Ideologemen vermischt. Dabei sind die politischen Inhalte der Opposition hochgradig widersprüchlich und elitär. Zusammen mit von Teilen der Opposition dogmatisch vertretenen und überhöhten antisemitischen und homophoben Positionen verhindert dies letztlich jeden größeren politischen Erfolg.
Eine gewisse nationalistische Befriedigung ob der eigenen wirtschaftlichen „Erfolge“ findet sich im politischen Diskurs Lettlands. Dessen Regierung hatte mit Ausbruch der globalen Finanzkrise eine massive Kürzungs- und Austeritätspolitik betrieben und einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um über 17 Prozent binnen eines Jahres provoziert. Eine Folge dessen war eine massive Auswanderung gerade von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern: Seit 2000 hat das Land fast 15 Prozent seiner Bevölkerung verloren, davon den größten Teil durch Auswanderung ab 2009 (Schreiner 2013). Die sinkende Arbeitslosenquote, im In- und Ausland oft als Beweis des Erfolgs neoliberaler lettischer Politik angeführt, ist in erster Linie auf diese Emigration zurückzuführen. Auffällig ist, dass überdurchschnittlich häufig Angehörige ethnischer Minderheiten auswandern, was wohl auch auf deren nach wie vor gegebene und sich tendenziell eher verschärfende Ausgrenzung in Lettland selbst verweist.
Dass die Türkei bislang vergleichsweise wenig von der ökonomischen Krise erfasst worden ist, dient dem derzeitigen türkischen Nationalismus als wesentliche Begründung seiner selbst, wie Savaş Taş in seinem Artikel für diesen Band zeigt. Es handelt sich dabei um argumentative Aktualisierungen eines historisch sehr viel älteren Nationalismus. Die Krise in Europa, der die eigene neoliberale Politik der letzten Jahre als die sehr viel erfolgreichere gegenübergestellt wird, hat die außenpolitische – und nationalistische – Tendenz der türkischen Regierung verstärkt, sich in Richtung der mittelasiatischen Turk-Republiken zu orientieren. Auch im Mittleren Osten und in Nordafrika nimmt das ökonomische und politische Engagement der Türkei zu. Demgegenüber trat das Ziel einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union eher zurück.
Starke nationalistische, aber durchaus auch rassistische Untertöne lassen sich im politischen Diskurs Deutschlands feststellen. Wie oben angemerkt, besteht dabei zwischen der Überzeugung, „es“ ökonomisch richtig gemacht zu haben, und der Verachtung insbesondere südeuropäischer Länder mitsamt ihrer Wirtschafts- und Sozialmodelle ein enger Zusammenhang. Die Deutung der Krise als Nachweis der Überlegenheit des deutschen neoliberalen Modells – mit unzureichender Lohnentwicklung, Austerität und Exportüberschüssen – steht dabei in der Kontinuität eines jahrzehntealten Normalisierungsdiskurses. Sie geht aber zugleich über diesen hinaus: Nicht mehr eine „normale“ Nation unter vielen, sondern eine aufgrund vermeintlicher ökonomischer Erfolge besondere oder überlegene Nation will Deutschland sein, wie Anika Kozicki in ihrem Beitrag für diesen Band aufzeigt.
Eine solche nationalistische Überlegenheitsrhetorik findet sich auch im entwicklungspolitischen Diskurs Deutschlands, wie Sara Madjlessi-Roudi in ihrem Beitrag für diesen Band beschreibt. Zwar scheint man angesichts des mit der Krise offensichtlichen Scheiterns neoliberaler wirtschaftspolitischer Rezepte in der Entwicklungspolitik von diesen tendenziell abzurücken. Am entwicklungspolitischen Paradigma als solchem, nämlich an der Idee einer Überlegenheit des Nordens, der dem globalen Süden seine „Hilfe“ zukommen lässt, wird hingegen festgehalten. Deutschland schreibt man dabei gerade aufgrund seiner gewachsenen ökonomischen Bedeutung und seines vermeintlichen ökonomischen Erfolgs eine besondere Verantwortung wie auch eine besondere Kompetenz zu.
In gewisser Weise die andere Seite der gleichen Medaille beschreibt Anna Curcio in ihrem Beitrag zum Rassismus in Italien. Sie zeigt: Rassistische Klischees, Vorurteile und Ausgrenzung, mit denen Italiener_innen im Ausland selbst immer wieder konfrontiert wurden und werden, finden sich auch innerhalb Italiens als Rassismus gegenüber MigrantInnen und SüditalienerInnen. So wird gerade vor dem Hintergrund der Krise die Verantwortung für politische und administrative Schwierigkeiten Süditaliens kulturalisiert: „Schuld“ sind dann eben nicht die politischen und ökonomischen Verhältnisse, sondern die zu Klientelismus, Familismus und Korruption neigenden Menschen im Mezzogiorno. Solcherlei Rassismus spricht nicht nur die „Nation“ von Verantwortung frei, sondern er ist zugleich Grundlage eines Race management, das den Menschen vorwiegend aufgrund ihrer „Rasse“ einen Platz und eine Funktion im hierarchischen kapitalistischen Arbeitsmarkt zuweist. In der Krise hat dies zur Konsequenz, dass sich gerade die Lebens- und Arbeitssituationen von SüditalienerInnen und MigrantInnen in Italien drastisch verschlechtern.
In Finnland, das Teil der Eurozone ist und das wirtschaftspolitisch eine Deutschland und Lettland nicht unähnliche Strategie verfolgt, spielte 2011 bei den Parlamentswahlen die Debatte über Hilfskredite für Portugal ("Bailout-Zahlungen") eine wichtige Rolle. Die "Wahren Finnen" ("Perussuomalaiset") nutzten diese Debatte und zogen nach einem von Nationalismus, Europafeindlichkeit und Rassismus geprägten Wahlkampf mit über 19 Prozent der Stimmen als drittstärkste Partei in den Reichstag ein.
Auch in Schweden, das Mitglied der EU, nicht aber der Eurozone ist, ist die Krise ein Thema. Dort gehen die "Schwedendemokraten" ("Sverigedemokraterna") mit Nationalismus und Rassismus erfolgreich auf Stimmenfang. 2010 gelang ihnen mit 5,7 Prozent erstmals der Einzug in den Reichstag, das schwedische Parlament.
Auch in Griechenland hat es im extrem rechten Parteienspektrum Veränderungen gegeben, die recht eindeutig auf die Krise zurückgeführt werden können. Die rechtspopulistische und rassistische Partei LAOS hatte sich Ende 2011, gemeinsam mit der sozialdemokratischen PASOK und der konservativen Nea Demokratia, an der Technokratie-Regierung unter Loukas Papadimos beteiligt. In den beiden Neuwahlen im Mai und Juni 2012 gelang es ihr nicht mehr, ins Parlament einzuziehen. Stattdessen schaffte dies die offen neonazistische „Goldene Morgenröte“ mit fast sieben Prozent. In diesen Wahlerfolgen kommt eine Zunahme von Ausgrenzung und Rassismus in Griechenland zum Ausdruck, die faktisch weit über das extrem rechte Spektrum hinaus bis in Konservatismus und Sozialdemokratie reicht. Maria Markantonatou nennt in ihrem Beitrag für diesen Band hierfür beispielhaft medienwirksame Verhaftungen von Prostituierten und eine rassistische Einwanderungspolitik, ein weiteres Beispiel ist etwa die zeitweise Arrestierung von über 130 Drogensüchtigen im März 2013.
In Zypern erscheint ein Aufschwung der extremen Rechten mindestens möglich. Die neonazistische und rassistische Partei ELAM, erst 2008 gegründet und bislang kaum über den Status eines kleinen Häufchens Versprengter hinausgekommen, hat sich dabei die griechische "Goldene Morgenröte" zum Vorbild und Beispiel genommen. Ihre martialische Präsenz auf den Straßen und Plätzen hat ELAM im Zuge der "Zypernkrise" im März 2013 verstärkt. Der Austritt aus dem Euro und abgeschottete Grenzen sind ihre zentralen Forderungen, die sie mit vielen konservativen und extrem rechten Parteien in Europa teilt. Hinzu kommt eine ausgesprochen feindliche Haltung gegenüber dem türkischen Teil der Insel (Jacobsen 2013).
Wachsende Ausgrenzung stellte die Commission nationale consultative des droits de l’homme auch in Frankreich fest. Rassistische Handlungen und Drohungen nahmen 2012 gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent zu. In Umfragen teilt eine wachsende Zahl der Menschen entsprechende Meinungen, wobei der Zuspruch zu antimuslimischem Rassismus und vor allem zum Antisemitismus sehr stark zunimmt (LeMonde.fr 2013). Bei den Präsidentschaftswahlen im April und Mai 2012 und den Parlamentswahlen im Juni 2012 konnte die neonazistische Partei "Front National" (FN) deutliche Stimmengewinne verbuchen. Die damals noch regierenden Konservativen um Ex-Präsident Nicolas Sarkozy verweigerten im Vorfeld dieser Wahlen nicht nur eine strikte Abgrenzung gegenüber dem FN, sondern kopierten ostentativ deren Inhalte: Sarkozy hetzte gegen Roma, ImmigrantInnen sowie MuslimInnen und ließ BettlerInnen aus der Pariser Innenstadt vertreiben (Nonnenmann 2012).
Auch in Portugal verzeichnen antirassistische und migrantische Organisationen eine Zunahme rassistischer Einstellungen, was sich bislang (noch) nicht in Stimmengewinne für neonazistische Parteien niederschlug. Eine nuancierte Anpassung des politischen Diskurses ist allerdings im gesamten politischen Spektrum festzustellen, und zwar bis in die Linke hinein. Wie in anderen Ländern auch, ist die Lebens- und Arbeitssituation von MigrantInnen – entgegen der gängigen rassistischen Vorurteile – meist äußerst prekär, insbesondere im Falle der etwa 80.000 bis 100.000 illegalisierten MigrantInnen (Steinmaier 2010). Viele von ihnen verlassen das Land (wie auch viele PortugiesInnen). Stärker noch als gegenüber Migrant_innen äußert sich der Rassismus in Portugal gegenüber den etwa 40.000 bis 50.000 Roma. Sie sind sozial und ökonomisch marginalisiert.
In Polen haben neonazistische Organisationen außerhalb der Parlamente starken Zulauf – und zwar verstärkt seit Beginn der Krise. Ihre Feindbilder sind es vorwiegend Jüdinnen und Juden, ImmigrantInnen sowie Homosexuelle, der Einfluss des Katholizismus ist groß. Ob sich diese Entwicklung auch in Wahlerfolgen für extrem rechte Parteien niederschlägt, bleibt abzuwarten; Versuche zur Etablierung einer Sammlungspartei rechts der Konservativen werden derzeit umgesetzt. Die Rolle der rechtskonservativen Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ (“Recht und Gerechtigkeit”) des ehemaligen Premiermierministers Jarosław Kaczyński ist dabei unklar – zumindest Teile von ihr verfolgen einen Kurs der Öffnung nach ganz rechts (Adler 2012).
Eine Zunahme rassistisch-ausgrenzenden Denkens lässt sich auch in Rumänien feststellen, und zwar verstärkt seit Beginn der Krise. Dies legen Meinungsumfragen im Land nahe. Von Ausgrenzung in besonderem Maße betroffen sind Roma, unter denen beispielsweise Armutsraten und Arbeitslosenquoten deutlich höher sind als im Landesdurchschnitt, die auch im Bildungsbereich stark benachteiligt sind und die zudem unter einem allgegenwärtigen Alltagsrassismus leiden. Eine zunehmende Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitssituation erfahren auch ImmigrantInnen, die in den vergangenen Jahren vorwiegend aus Moldawien, China und der Türkei nach Rumänien gekommen sind.
Alltagsrassismus gegenüber Roma ist auch in Ungarn präsent. Rassistisches und nationalistisches Denken wird dort darüber hinaus in hohem Maße durch die Akteur_innen in Parlament und Regierung vertreten, wie Lea Arnold und Patrick Schreiner in ihrem Artikel für diesen Band zeigen. Das Land wird von einer Koalitionsregierung unter Führung der rechtskonservativen Fidesz regiert, die gegenüber der erstarkenden extrem rechten Partei Jobbik sowie gegenüber außerparlamentarischen neonazistischen Organisationen keinerlei Berührungsängste zu haben scheint. Wirtschaftlich verfolgt Ministerpräsident Viktor Orbán eine neoliberale Austeritätspolitik, die er mit nationalistischer sowie pseudo-antikapitalistischer Rhetorik vermengt. Die Ausgrenzung von Roma hat dabei vielfältige Formen und Begründungen; sie legitimiert sich nicht nur, aber durchaus auch aus der neoliberalen Vorstellung heraus, am eigenen Elend trügen stets in erster Linie die Elenden selbst Schuld.
Die konservativ-liberale Regierung unter David Cameron in Großbritannien setzt wirtschaftspolitisch auf eine radikale Austeritäts- und Kürzungspolitik – mit sozial und ökonomisch verheerenden Folgen. Sie verbindet dies mit einem neoliberalen Nützlichkeits- und Produktivitätsdenken, das mit der Ausgrenzung sowohl von ImmigrantInnen und Asylsuchenden als auch der als „chavs“ beleidigten neuen „Unterschicht“ einhergeht. Sibille Merz beschreibt in ihrem Artikel für diesen Band diese „Regierungstechnologie“, die Menschen nach Nützlichkeit bewertet und rassistisch klassifiziert, die Verantwortung individualisiert und auf politischen Widerstand mit staatlicher Gewalt und Repression reagiert.
Seit Ausbruch der Krise nehmen Nationalismus, Rassismus und Populismus auch in Österreich zu. Die rechte "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) trägt dazu insofern bei, als sie immer wieder mit antijüdischen und rassistischen Aussagen an die Öffentlichkeit tritt. Vor allem die (diskursive und reale) Ausgrenzung von vermeintlichen oder tatsächlichen MuslimInnen und Geflüchteten ist in Österreich allgegenwärtig. Im Gegensatz zur FPÖ setzt die jüngst entstandene Partei "Team Stronach" nicht direkt auf rassistische Politik, sondern will nationalistische Fragen autoritär-populistisch beantworten. Parteichef Frank Stronach thematisiert vor allem Themen wie Korruption, Verkrustung des politischen Systems, Bürokratie und politischen Proporz. Er inszeniert sich als erfolgreicher Unternehmer mit globaler Wirtschaftskompetenz und stellt sich damit als Alternative zur traditionellen Politik in Österreich wie auch als neoliberal-nationalistische Führungsfigur im von Krisen erschütterten Europa dar.
In den Niederlanden waren die Jahre vor der aktuellen ökonomischen Krise geprägt von einer deutlichen Zunahme von Rechtspopulismus und Rassismus, verbunden mit einem Rückbau der sozialen Sicherheitssysteme. In der Krise kam es zwar nicht zu einem nochmals verstärkten Zuspruch zu extrem rechten Parteien oder Ideologien; ganz im Gegenteil ließe sich mit Blick auf die Ergebnisse der Parlamentswahlen im September 2012 eher von einer „Normalisierung“ sprechen, wie Frank Eckhardt in seinem Beitrag für diesen Band schreibt. Offenbar sind derzeit eher soziale und ökonomische „Kümmerer“ gefragt. Gleichwohl sind Ausgrenzung und Rassismus auch in den Niederlanden weit verbreitet. Zudem bleiben sie eine zukünftige Option auch für die etablierte Politik. Dies gilt auch für den Rechtspopulisten Geert Wilders und seine „Partij voor de Vrijheid“, die seit den letzten Wahlen nicht mehr durch Duldung indirekt an der Regierung beteiligt sind.
Liberal-konservativer Populismus mit zentralen Handlungsfiguren nimmt in den letzten Jahren, durchaus verstärkt durch die Krise, auch in Italien immer breiteren Raum ein. Hier wird sozial insofern ausgegrenzt, als diesem Populismus eine Konzeption von „Volk“ zu Grunde liegt, die Abweichungen in Verhalten und Sozialstatus keinen Raum lässt. Dieses kollektivierende Konzept beruht dabei, was nur auf den ersten Blick widersprüchlich ist, auf der Individualisierung von Verantwortung: Gerade indem für soziale Probleme wie etwa Arbeitslosigkeit die Betroffenen als Schuldige markiert werden, konstituiert sich „das Volk“ als normativ aufgeladene Instanz des „Guten“. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Ausgrenzung ethnischer, religiöser und politischer Minderheiten sowie die Abgrenzung von als politisch und moralisch verlottert dargestellten herkömmlichen politischen Eliten. Silvio Berlusconi, Beppe Grillos "Movimento 5 Stelle" sowie die Bewegung „Imprese che resistono“ stehen für einen solchen Populismus, wie Umberto Bettarini, Alessandro Capelli und Davide Schmid in ihrem Beitrag für diesen Sammelband darstellen.
Quellenverzeichnis
Für ergänzende Hinweise danken wir sehr herzlich Florentina Enache, Julia Hofmann, Ismail Küpeli und Jan Tölva.
Bibliografische Angaben zu "Nation - Ausgrenzung - Krise"
Sebastian Friedrich / Patrick Schreiner (Hg.): Nation – Ausgrenzung – Krise. Kritische Perspektiven auf Europa. edition assemblage, 240 Seiten, 18,00 EUR [D]. ISBN 978-3-942885-36-2 (bol.de, thalia.de, buch.de, ebook.de).
Der Sammelband untersucht Formen und Auswirkungen ausgrenzenden und nationalistischen Denkens im Kontext der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa. Weitere Informationen zum Buch: Nation - Ausgrenzung - Krise.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/nationalismus-ausgrenzung-und-die-krise-in-europa-ein-kurzer-laenderueberblick--1157.html | Gedruckt am: 14.12.2024