9. April 2013 | Patrick Schreiner
sierte Kreise in Wirtschaft, Politik und Medien behaupten in unschöner Regelmäßigkeit, dass die steuerliche Belastung gerade für „Leistungsträger“ in Deutschland besonders hoch – oder gar weiter ansteigend – sei. Mit „Leistungsträger“ meinen sie dabei Menschen mit hohen Einkommen oder Vermögen. Nun dürfte spätestens seit Finanzkrise und Boni-Skandalen zwar klar sein, dass zwischen „Leistung“ und Einkommen bzw. Vermögen kein Zusammenhang besteht. Dennoch – oder gerade deshalb – lohnt es sich, diese Behauptung genauer zu überprüfen: Unterliegen hohe Einkommen und Vermögen in Deutschland einer wachsenden steuerlichen Belastung?
Um allgemeine steuerpolitische Tendenzen festzustellen, empfehlen sich lange Betrachtungszeiträume. Daher sei im Folgenden ein Vergleich des Jahres 1961 mit dem Jahr 2011 angestellt. Die folgende Abbildung stellt für beide Jahre den Anteil des Aufkommens verschiedener Steuern am Gesamt-Steueraufkommen dar:
Abbildung 1: Aufkommen verschiedener Steuern als Anteil am Gesamt-Steueraufkommen, 1961 und 2011, Deutschland. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnung und Darstellung.
Es fällt auf, dass es zwischen 1961 und 2011 zu einigen Veränderungen und Verschiebungen kam. Hierzu einige Hinweise:
Insgesamt lässt sich also zusammenfassend folgende Tendenz feststellen: Seit 1961 tragen insbesondere Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen deutlich weniger zum Gesamtsteueraufkommen bei, während die direkte und indirekte Steuerlast für Menschen mit niedrigen Einkommen beträchtlich anstieg.
Diese Entwicklung bildet auch die folgende Abbildung ab:
Abbildung 2: Anteil von Massensteuern am Gesamtsteueraufkommen in Deutschland, 1950-2011. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnung und Darstellung.
Abbildung 2 zeigt die aggregierte Entwicklung des Anteils der Lohnsteuer sowie der Konsumsteuern am Gesamtsteueraufkommen für die Jahre 1950 bis 2011. Diese Steuern, man könnte sie als Massensteuern bezeichnen, werden weit überproportional von abhängig Beschäftigten sowie von Menschen mit geringen Einkommen bezahlt. Es zeigt sich, dass der Anteil der Massensteuern, der Anfang der 1960er Jahre nur 50 Prozent betrug, Mitte der 1990er und Anfang der 2000er Jahre auf fast 80 Prozent angestiegen war. Der seither zu verzeichnende Rückgang auf immer noch knapp über 70 Prozent hat zweierlei Gründe:
Zusammenfassend lassen sich an Abbildung 2 zweierlei Entwicklungsphasen und eine Grundtendenz ablesen. Die Grafik zeigt, dass bis etwa Ende der 1980er Jahre die Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zugenommen hat („Marsch in den Lohnsteuerstaat“), während seither insbesondere der Anteil der Konsumsteuern gewachsen ist. Daraus folgt, auch dies ist in der Grafik erkennbar, eine eindeutige Grundtendenz von 60 Jahren bundesrepublikanischer Steuerpolitik: Nicht Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen wurden immer mehr belastet, sondern Menschen mit geringen und mittleren Einkommen leisten einen über die Jahrzehnte hinweg wachsenden Beitrag zum Gesamtsteueraufkommen. Unternehmen sowie Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen wurden demgegenüber immer stärker entlastet. Sie tragen damit – entgegen des anderslautenden Selbstbildes – im Trend immer weniger zum Gesamtsteueraufkommen bei.
Steuerpolitische Artikel in meinem Blog erfreuen sich erfahrungsgemäß eines großen Interesses - und sie führen überdurchschnittlich oft zu scharfen Diskussionen, zu energischem Widerspruch wie auch zu deutlicher Zustimmung. Zuletzt und besonders ausgeprägt war dies Anfang Februar bei meinem Artikel "Zur Behauptung, dass die Steuereinnahmen noch nie so hoch wie heute gewesen seien" der Fall. Ich bin auf die Reaktionen gespannt, die es zu diesem Artikel hier geben wird - ein Artikel, der einmal mehr das liberale und konservative Märchen von der hohen steuerlichen Belastung der selbst ernannten "Leistungsträger" in dieser Gesellschaft widerlegt.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/hohe-einkommen-und-vermoegen-tragen-immer-weniger-zum-steueraufkommen-bei--1113.html | Gedruckt am: 13.09.2024