4. Februar 2013 | Patrick Schreiner
fentliche Meinung scheint sich zu drehen: Galten vor wenigen Jahren Steuererhöhungen noch als Gift und als absolutes Tabu, so werden mittlerweile Stimmen lauter, die eine Erhöhung von Steuern gerade auf hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinne fordern. Insbesondere die FDP, der Bund der "Steuerzahler" und auch die CDU verweisen allerdings immer wieder darauf, dass die Steuereinnahmen in Deutschland noch nie so hoch wie heute gewesen seien. Mit dieser Begründung lehnen sie Steuererhöhungen ab. Grund genug, sich die tatsächlichen Zahlen ein wenig genauer anzusehen. - Ein Beitrag über Zahlentricks und Manipulationen.
In einer denkwürdigen Sendung hat sich im Herbst letzten Jahres selbst Anne Will in ihrer Talkshow der Frage gewidmet, ob angesichts der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft nicht eine Umverteilung des Wohlstands von oben nach unten angebracht wäre. Anlass war der Entwurf für einen "Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung", der medial breit diskutiert wurde und der auf die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft hinweist.
Tatsächlich hat die Frage der Steuerpolitik keineswegs nur mit der finanziellen Ausstattung öffentlicher Haushalte, sondern auch etwas mit der gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft zu tun. Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte waren dabei von zweierlei Tendenzen geprägt:
Beide Tendenzen haben dazu beigetragen, die Verteilung von Wohlstand in Deutschland immer ungleicher werden zu lassen. Insbesondere der erstgenannte Trend, nämlich zahlreiche Steuersenkungen, hat zudem zu einer deutlichen Schwächung der öffentlichen Haushalte geführt. Der zurückliegende drastische Anstieg der Staatsverschuldung hat nicht nur, aber auch mit dieser Entwicklung zu tun.
Dennoch wehren sich vor allem Vertreterinnen und Vertreter aus FDP, Bund der "Steuerzahler" und CDU dagegen, die öffentlichen Einnahmen durch höhere Steuern zu verbessern. Ihr Argument: Noch nie seien die Steuereinnahmen so hoch gewesen wie heute, folglich hätten die öffentlichen Haushalte kein Einnahmeproblem. Sie hätten vielmehr ein Ausgabeproblem, dem durch Ausgabekürzungen begegnet werden müsse. Letzteres Argument – das "Ausgabeproblem" – soll nicht Thema dieses Artikels sein. Ich beschränke mich daher auf den kurzen Hinweis, dass kein Industrieland mit Ausnahme Japans so niedrige öffentliche Ausgabesteigerungen hatte wie Deutschland, inflationsbereinigt sanken sie bis zur Finanzkrise (1998-2008) durchschnittlich sogar um 0,2 Prozent pro Jahr.
Was aber steckt hinter der Behauptung, Deutschland habe noch nie so hohe Einnahmen gehabt wie heute?
Betrachtet man die Steuereinnahmen in absoluten Zahlen und nicht inflationsbereinigt (also nominal), so stimmt diese Behauptung durchaus. Mit 573,4 Mrd. Euro lagen sie 2011 über dem bisherigen Höchstwert von 561,8 Mrd. Euro aus dem Jahr 2008. 2012 sollen sie laut aktueller Steuerschätzung sogar die 600-Mrd.-Euro-Schwelle überschreiten (Abbildung 1). Diese Zahlen, auf die sich FDP, Bund der "Steuerzahler" und CDU gerne berufen, sind allerdings alles andere als aussagekräftig. Schließlich sind diese Daten nicht inflationsbereinigt, ein Euro im Jahr 2008 war deutlich mehr wert, als er es heute ist – und ein Euro in den 1990er Jahren war nochmals mehr wert (damals noch als D-Mark.)
Die folgende Abbildung 1 stellt neben der Entwicklung der nominalen Steuereinnahmen, hier in der blauen Kurve, einige aussagekräftigere Daten dar. Sie bereinigt die Steuereinnahmen zum einen um die Preissteigerung (Basisjahr hierfür: 2005) und bezieht sie zum anderen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP):
Abbildung 1: Steuereinnahmen Deutschlands 1991-2012 nominal, real (inflationsbereinigt, Deflator: Verbraucherpreisindex, Basisjahr 2005) und relativ zum Bruttoinlandprodukt sowie als Fortführung des Trends der Jahre 1992-2000. Quelle: Statistisches Bundesamt, für 2012 Prognose der amtlichen Steuerschätzung, eigene Berechnung und Darstellung.
Die Abbildung macht Folgendes deutlich:
Von "höheren Steuereinnahmen als jemals zuvor" kann angesichts dieser Entwicklungen ganz offensichtlich nur sehr eingeschränkt die Rede sein. Dies gilt umso mehr, als das halbwegs positive Jahr 2012 mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ausnahmejahr bleiben wird: Sowohl die allgemeinen Wirtschaftsdaten als auch die Steuerschätzung stimmen für die Jahre ab 2013 wenig optimistisch.
Abschließend sei zudem auf die enormen Ausgaben hingewiesen, die die öffentlichen Haushalte krisenbedingt zu leisten hatten – etwa zur Bankenrettung, zur Eurorettung, zur Finanzierung von Kurzarbeit in der Industrie sowie im Rahmen der Konjunkturpakete. Sie alle müssen finanziert werden. Hinzu kommen massive krisenbedingte Einnahmeausfälle. Dies alles macht es notwendig, deutlich höhere Einnahmen zu erzielen, als vor der Krise erzielt wurden. An höheren Steuern auf hohe Einkommen, große Vermögen sowie auf Unternehmensgewinne führt daher kein Weg vorbei – allen ideologischen Einwänden seitens FDP, Bund der "Steuerzahler" und CDU zum Trotz.
Der Artikel erschien in überarbeiteter Fassung zuerst in Lunapark21 Ausgabe 20.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/zur-behauptung-dass-die-steuereinnahmen-noch-nie-so-hoch-wie-heute-gewesen-seien--1044.html | Gedruckt am: 28.03.2025