20. September 2012 | Patrick Schreiner
en drücken sich Ideologien in wenigen Worten aus. Mehr noch als der offene Streit der Argumente ist es das Subtile in der Sprache, das Meinungen wie selbstverständliche Fakten aussehen lassen kann. Ein anschauliches Text-Beispiel hierfür hat jüngst die Research-Abteilung der Deutschen Bank vorgelegt. Es ist im Grunde nur ein einziges Wort, hinter dem sich einen bunter Reigen ideologischer Annahmen versteckt. Es suggeriert im Kontext der betreffenden Textstelle, dass die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahren mit der Eurokrise nichts zu tun habe.
Deutsche Bank Research (DBR) veröffentlicht regelmäßig umfangreichere Textsammlungen in elektronischer Form, die aus aktuellen Konjunkturprognosen sowie mehreren spezifischeren Artikeln verschiedener Autorinnen und Autoren bestehen. Die jüngste derartige Veröffentlichung "Aktuelle Themen – Ausblick Deutschland" erschien am 24. August. Es sind weniger die darin enthaltenen Texte als vielmehr die ersten zweieinhalb Sätze auf der Titelseite der Publikation, die Aufmerksamkeit verdienen. Dort heißt es - und das Wörtchen "dennoch" ist dabei von besonderer Bedeutung:
Deutschland hebt sich deutlich von den anderen Euroländern ab. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die öffentlichen Finanzen, sondern auch hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung. Dennoch zeigen sich in Deutschland schon merkliche Bremsspuren der Eurokrise [...].
Diese Ausführungen lassen sich wie folgt in zwei verschiedene grundlegende Aussagen aufgliedern:
Durch das im obigen Zitat in Fettschrift markierte Wörtchen "dennoch" wird dabei der Eindruck erweckt, dass Aussage 1 und Aussage 2 in einem gewissen Widerspruch zueinander stehen. Eigentlich sollte Deutschland, so wird suggeriert, weil es erfolgreicher ist (Aussage 1), von der Eurokrise verschont bleiben. Tatsächlich aber wird es, obwohl es erfolgreicher ist, von der Eurokrise erfasst (Aussage 2).
Mit dieser Argumentation wird gleich zweierlei unterschlagen:
Deutschland hebt sich deutlich von den anderen Euroländern ab. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die öffentlichen Finanzen, sondern auch hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung. Da diese vermeintlichen Erfolge auf Kosten der immer tiefer in die Krise stürzenden Länder erzielt wurden und noch immer werden, zeigen sich mittlerweile auch in Deutschland schon merkliche Bremsspuren der Eurokrise [...].
In den letzten Jahren wurden in der Eurozone – wie auch in der globalen Wirtschaft – massive und zunehmende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte aufgebaut. Sie führten zu einer zunehmenden staatlichen und privaten Verschuldung in denjenigen Ländern, deren Importe die Exporte Jahr für Jahr um einen höheren Betrag überstiegen, die also Exportdefizite einfuhren. Und sie führten spiegelbildlich zu zunehmenden Unternehmensgewinnen sowie Vermögen in denjenigen Ländern, die Exportüberschüsse erzielen und von Jahr zu Jahr steigern konnten. Deutschland war und ist dabei das Land mit den bei Weitem größten Exportüberschüssen innerhalb Europas.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen in der unterschiedlichen Lohnentwicklung. Die meisten Eurostaaten, auch die heutigen Krisenländer, verzeichneten normale oder leicht überdurchschnittliche Lohnsteigerungen. Deutschland hingegen hatte eine extrem zurückhaltende Lohnentwicklung, was unter anderem auf den massiven Ausbau des Niedriglohnsektors zurückzuführen ist. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte ist auf diese Weise enorm gestiegen, was wiederum den Export explodieren ließ. Gleichzeitig fiel die deutsche Importnachfrage viel zu schwach aus: Die geringen Lohnanstiege strangulierten die Konsumnachfrage, die öffentliche Hand verfolgte einen strikten Sparkurs. Dies ließ auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus dem Ausland weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Der deutsche "Erfolg" beruhte vor diesem Hintergrund in erster Linie auf den massiven Exportüberschüssen, die letztlich durch eine zunehmende Verschuldung der heutigen Krisenstaaten finanziert wurden.
Dies ist eine klassische "Beggar thy neighbour"-Politik: Eine Politik, bei der ein Land seine ökonomischen und finanzpolitischen Probleme auf Kosten anderer Länder lösen will. Eine solche Strategie ist spätestens dann zum Scheitern verurteilt, wenn die Volkswirtschaften, auf deren Kosten Deutschland sich zu sanieren versuchte, die deutschen Exportüberschüsse nicht mehr finanzieren können. Dieser Zeitpunkt ist derzeit erreicht.
Genau dieser komplexe Sachverhalt wird von Deutsche Bank Research mit obigem Zitat geschickt unterschlagen. Die Tatsache, dass Deutschland wirtschaftlich und finanziell "erfolgreicher" als die anderen Euro-Staaten ist, und die Tatsache, dass langsam auch Deutschland von der Eurokrise erfasst wird, widersprechen sich eben nicht, wie das Wörtchen "dennoch" suggeriert. Das Abrutschen Deutschlands in die Krise ist vielmehr eine logische Konsequenz des "Erfolgs" deutscher Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Es sind manchmal kleine und "unschuldige" Wörter, hinter denen sich Ideologien verbergen. Ganz besonders, wenn sie gleich am Anfang einer längeren Broschüre stehen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/maerchen-aus-der-deutschen-bank-4-obwohl-deutschland-besser-ist-geraet-es-in-die-krise--1040.html | Gedruckt am: 15.01.2025